Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
Paul, Colin wieder abzuhängen, und der schwere Geländewagen geriet außer Sichtweite. Was hatte Colin vor? Wollte er etwa in sein Haus zurückkehren?
    Ich hatte Mama nicht Bescheid gesagt, dass wir kamen, es sollte eine Überraschung werden. Doch sie stand bereits vor der Eingangstür, als Paul in den Hof fuhr. Wie drei Sünder traten wir ihr entgegen. Ich versuchte, möglichst gesund und munter auszusehen, was vermutlich grandios scheiterte; Tillmann schaute stur auf den Boden; nur Paul wagte es, Mama entgegenzublicken, aber auch er wirkte angespannt und verkrampft. Wir waren alle drei in Erklärungsnot.
    Bevor Mama, deren Augen erst zu leuchten begannen und sich dann mit Tränen füllten, Paul in die Arme schließen konnte, drängelte ich mich an ihm vorbei, warf mich an ihren Hals und flüsterte: »Er hält mich und Papa für verrückt und glaubt mir nicht. Erwähne die Mahre nicht. Spiel mit.« Ich wollte sie nicht berühren, niemanden wollte ich berühren, aber ich musste es tun, um ihr die Informationen zu übermitteln, die sie dringend brauchte. Ich zitterte vor Widerwillen.
    Mama gab mir mit einem sanften Druck ihrer Hand zu verstehen, dass sie kapiert hatte, was ich meinte, und sofort befreite ich mich aus ihrer Umarmung. Ich hatte das Gefühl, mich auf der Stelle duschen zu müssen. Ich wollte meine Haut abschrubben, bis sie glühte, sie am liebsten von meinem Körper ziehen. Sie schmerzte durch die plötzliche Nähe, die ich ihr zugemutet hatte, und dieser Schmerz ließ die Wut in meinem Bauch aufbegehren.
    Ich überließ Mama und Paul ihrer Wiedersehensfreude und lief ums Haus herum zum Wintergarten. Tillmann folgte mir gemächlichen Schrittes.
    Doch als ich nach oben blickte, blieb ich so plötzlich stehen, dass ich das Geländer der Stiege packen musste, um nicht zu straucheln. Da saß jemand an unserem Tisch. Genau erkennen konnte ich die Gestalt nicht, da die Sonne auf die Scheiben schien, doch es war ein Mann und er saß an Papas Platz, hatte Papas Tasse vor sich und nebendran ein Bündel Papiere ... Er war zurück! Papa war wieder da!
    »Pa... oh.« Auf der oberen Treppenstufe bemerkte ich meinen Irrtum und die Enttäuschung sprudelte kochend durch meine Brust. Tillmann griff an mir vorbei, um die Tür aufzudrücken, und ich schob mich hölzern samt Koffer nach drinnen.
    »So ist das also«, brach ich als Erste die Stille. »Das ging ja flott.«
    »Hallo, Elisabeth«, erwiderte Herr Schütz ruhig und so behutsam, dass ich ihm am liebsten die Kaffeetasse aus den Händen geschlagen hätte. Das war Papas Tasse und es war Papas Platz, an Papas Tisch.
    »Schön, dich wiederzusehen. Hallo, mein Sohn.« Die letzten drei Worte klangen schon weniger behutsam.
    »Entschuldigt bitte, aber mir ist gerade richtig schlecht«, sagte ich kühl und rauschte an Vater und Sohn vorbei in Richtung Treppe.
    »Ellie, warte doch!«, rief Mama, die uns inzwischen gefolgt war.
    Nein. Ich würde nicht warten. Sie wartete ja anscheinend auch nicht. Sah sie denn nicht, was da passierte? Tat es ihr nicht weh, das zu sehen - Herr Schütz an Papas Platz, als wäre es seiner, ja, als wäre Papa nie da gewesen? Wie konnte sie das zulassen? Oder war es etwa noch schlimmer - nämlich so, wie ich es Herrn Schütz eben im ersten Schreck unterstellt hatte: Zwischen den beiden lief etwas?
    Ein schwarzer Blitz galoppierte an mir vorbei, während ich die Treppen nach oben stapfte, und suchte das Weite. Mister X! Was für eine nette Begrüßung. Wo wollte der denn jetzt hin? War mir nicht einmal ein bisschen kätzischer Trost gegönnt? Ich musste eine Pause machen, der Koffer wurde zu schwer und ich war immer noch zu schwach. Schnaufend wartete ich darauf, dass mein Puls sich beruhigte, und vernahm in der plötzlichen Stille das Blubbern von Colins Wagen. Ich ließ den Koffer stehen und machte sofort kehrt. Ja, ich wollte fort von hier. Mister X war zu Colin gerannt und dort musste ich auch hin. Ohne zu denken oder gar meine Flucht zu erklären, jagte ich an Mama, Paul, Herrn Schütz und Tillmann vorbei, durch den Garten und Richtung Straße.
    Colin hatte den Wagen bei laufendem Motor auf dem Feldweg zum Stehen gebracht - wie vergangenen Sommer einige Meter oberhalb unseres Hauses. Die Beifahrertür war geöffnet. Mit einem federnden Satz sprang Mister X in das Auto.
    »Nimm mich mit«, keuchte ich, nachdem ich den Kater eingeholt hatte und mich neben Colin auf den Beifahrersitz schob. »Ich bleib dort keine Sekunde länger.«
    Ich schlang

Weitere Kostenlose Bücher