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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Tillmann ihn in irgendeiner Form beeindruckt haben und danach sah es nicht aus. Tillmann bemerkte mein Starren und wusste es sofort einzuordnen.
    »Nee. Ellie, glaub mir, der ist nicht schwul. Ich werde ständig von Schwulen angebaggert in letzter Zeit. Da ist einer in Rieddorf, der hat angeblich einen Hunderteuroschein und ein Foto von mir über seinem Bett hängen und sagt immer, ich soll zu ihm kommen und mir das Geld abholen ...« Tillmann verzog verächtlich den Mund, als ich kicherte. »Ich hab echt nix gegen Schwule, aber ich selbst? No way. Und dein Bruder hat mich stinknormal behandelt.«
    Tja, mein Bruder vielleicht. Doch sollte François hier auftauchen, musste ich Tillmann in Sicherheit bringen.
    Wenn man vom Teufel spricht, dachte ich resignierend, als zwei Sekunden später laut rasselnd die Wohnungstür aufgesperrt wurde. François besaß neuerdings seinen eigenen Schlüssel, ein Zugeständnis von Paul. Ich war überzeugt, dass François es nicht länger hinnehmen wollte, sich von mir die Tür öffnen zu lassen, falls er wie so oft Sturm klingelte. Schon schlitterte Rossini hechelnd zu uns in die Küche und begann, wild kläffend vor Tillmann auf und ab zu springen. François’ hektische Schritte klapperten durch den Flur.
    »Paul! Paul, es ist höchste Zeit! Wir müssen nach Duuu-bai! Der Flieger geht!«
    Keine Antwort. Tillmann schaute mich gebannt an, während der Hund immer schriller winselte. Zum ersten Mal an diesem Morgen war ich froh, dass Colin nicht auch noch hier war, denn dann hätten wir spätestens in zehn Minuten den städtischen Tierrettungsdienst anrufen müssen.
    »Paul! Wo steckt er nur wieder?« Die Badezimmertür klappte. »Da ist er nicht... Paul!« Mit flatterndem Mantel und umweht von einer Parfumwolke hetzte François zu uns in die Küche.
    »Der ist schwul«, kommentierte Tillmann trocken. Ich konnte ein belustigtes Kichern nicht unterdrücken, obwohl François’ Stimme meine Schläfen zum Hämmern brachte. Ich beobachtete ihn angespannt. Seine trübblauen Augen über den dicken Tränensäcken huschten erst zu mir - missachtend wie immer - und verfingen sich dann für eine Sekunde an Tillmann. Tillmann sah ihn ohne die geringste Scheu an - kühl und ein wenig herausfordernd. Doch François schnalzte nur ungeduldig mit der Zunge und machte kehrt. Er hatte Tillmann sehr wohl wahrgenommen. Doch offenbar war er für dessen körperliche Vorzüge unempfänglich und das wiederum konnte ich kaum fassen.
    »Na ja. Die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden«, resümierte Tillmann und ließ sich von der Arbeitsfläche gleiten. »Mensch, das Geschnatter von dem Typen ist echt nervig.«
    Ich konnte ihm nur zustimmen. François hatte Paul nun entdeckt und krähte ihn wach. Es lag Streit in der Luft. Und ich musste François’ Stimme entfliehen.
    Tillmann und ich zogen uns mit Kaffee und zwei trockenen Brötchenunterhälften in mein Zimmer zurück, während François Paul aus dem Bett brüllte.
    »Thema Colin«, knüpfte ich an einen meiner durcheinanderjagenden Gedanken an. »Du hast erwähnt, er sei hier gewesen, bei mir ... «
    »Richtig. Er war hier, als ich klingelte, und ließ mich rein. Dein Bruder kam kurz nach mir. Und dann sind die beiden sich fast an die Gurgel gegangen. Colin bestand darauf, bei dir zu bleiben, und hat sich keinen Zentimeter von dir wegbewegt, aber Paul wollte ihn rausschmeißen. Ich hab dann gesagt, dass ich Colin kenne und dich kenne und du bestimmt willst, dass Colin bleibt. Paul wollte mich außerdem heimschicken.«
    »Und er hat es nicht, weil...?«, fragte ich geduldig.
    »Weil er meine Hilfe bei dieser Ausstellung gebrauchen konnte. Denke ich. Jedenfalls - gestern Abend sagte Colin zu mir, er müsse jetzt gehen. Sich ernähren. Dann meinte er noch, wir sollten dich nicht allein lassen, weil dein Kopf wieder anfange zu arbeiten. Das war alles.«
    Ja, mein Kopf arbeitete wieder und erst jetzt wurde mir klar, dass er gewisse Dinge zwischenzeitlich gelöscht hatte. Als ich krank gewesen war, hatte ich vergessen, dass Papa verschwunden und Paul befallen war. Oder hatte ich es erst vergessen, als Colin mich in den Genesungsschlaf geschickt hatte? Hatte er dafür gesorgt - oder ich selbst, indem ich eine Tablette nach der anderen in mich hineingestopft hatte?
    Nun wusste ich alles wieder: Papas Verschwinden, Pauls Befall. Ob ich deshalb diesen nächtlichen Anfall gehabt hatte? Möglicherweise waren genau in diesem Moment die Erinnerungen heimgekehrt und

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