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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Sein Humor war restlos verflogen.
    »Aber ich habe solche Angst!«, flüsterte ich. Angst, dass die Leichen zurückkehrten. Dass ich ihn berührte und nur die nackten, toten Leiber spürte. Sein Gesicht verschwamm in meinen Tränen.
    »Ich weiß, mein Herz.«
    Ich wollte eine widerspenstige Haarsträhne zurückstreichen, die ihm in die Stirn fiel, doch meine Muskeln verweigerten sich. Es war zu früh dafür.
    »Du hast einmal etwas sehr Schönes zu mir gesagt, obwohl du es kitschig fandest: Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Erinnerst du dich?«
    Ich nickte.
    »Eigentlich hat dieses Sprichwort noch einen zweiten Satz. >Denn wer liebt, kehrt zurück.< Und jetzt lasse ich dich frei, Ellie.«

Gula

Nachrichten von C.
    »Meine tapfere Königin der erfrorenen Herzen, wenn Du diese Zeilen liest, bin ich bereits auf dem Weg zurück zu meiner Insel um mich mit Vögeln zu beschäftigen. (Ha! Aufgrund meines fortgeschrittenen Alters kannte ich den Kalauer schon sehr, sehr lange, doch aus Deinem Mund erhielt er eine völlig neue Würze, obwohl er stimmungstechnisch ein wahrer Zerstörer ist. Bei Menschen zumindest. Mich kann nichts so schnell zerstören, wenn Du halb nackt und in einem meiner zerschlissenen Hemden auf meinem Schoß sitzt.)
    Ich weiß um Deine seelische Wüste, ich kenne ihre Schmerzen und ich würde mich gerne tausendfach bei Dir entschuldigen. Aber was würde es nützen? Und vor allem: Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was passiert wäre, wenn wir uns nicht auf den Raub eingelassen hätten. Ich fürchte, es wäre weit schlimmer ausgegangen.
    Egal, was in Zukunft geschieht: Ich werde es nie wieder tun.
    Sobald ich es vermag, sobald ich genug Kraft tanken kann, um es zu überstehen, ohne Dich im nächsten Moment auszusaugen, gebe ich Dir deine Erinnerung zurück. Sie ist stark und wichtig. Sie hat mich tagelang von innen gewärmt. Trotzdem hatte ich zu lange gehungert, um sie entbehren zu können. Ich wollte bei Dir bleiben, als Du so krank warst, und das konnte ich nur mit Deiner Erinnerung. Ein Circulus vitiosus. Ich hatte zwar die Möglichkeit, im Tierpark Hagenbeck zu rauben, aber die Träume von Zootieren sind so stumpf und gequält.
    Wenn sie dort geboren wurden, wissen sie nicht einmal wovon sie träumen sollen.
    Ach, Ellie, warum hast Du ausgerechnet diese Erinnerung gewählt? Ihr Menschen braucht Eure frühesten Geborgenheitserinnerungen. Sie sind Euer Überlebenswerkzeug und die Basis Eures Urvertrauens. Für mich hätte auch die Erinnerung an die Freude über eine Eins in Mathe gereicht - aber ich ahne es schon, Du hast Dich niemals darüber gefreut, nicht wahr?
    Wir hatten leider nicht die Gelegenheit, über all die Dinge zu reden, die jetzt auf Dich zukommen. Ich muss es schriftlich nachholen.
    Ich spreche Dir nun eine Empfehlung aus: Schaffe Deinen Bruder an einen anderen Ort und hoffe darauf dass der Mahr ihm nicht folgen wird. Die Chancen stehen gut, denn Hamburg ist dank der großen Kreuzfahrer und all der St.-Pauli-Touristen ein nahrhaftes Pflaster für Mahre und immerhin ist er Euch nicht in den Wald gefolgt. Er scheint faul zu sein. Macht am besten einen ausgedehnten Urlaub im Süden, aber bitte nicht Italien. Die Balearen sind auch schön. Danach sucht Ihr Euch ein hübsches Städtchen fernab von Hamburg, Du nutzt Deinen klugen Kopf und beginnst ein Studium - bei den Sozialwissenschaftlern bist Du nicht gut aufgehoben, wohl aber bei den Biologen -und Dein Bruder passt ein bisschen auf Dich auf. In Ordnung? Nein. Ich mache mir etwas vor. Es ist natürlich nicht in Ordnung.
    Du willst also Mahre jagen. Du weißt, dass Du an akuter jugendlicher Hybris leidest, oder? Wenn Du es schon nicht lassen kannst, Deinen Bruder retten zu wollen - und ich fürchte zudem, er ist nicht minder stur als Du und würde sowieso nicht aus Hamburg wegziehen -hör wenigstens in diesem Punkt auf mich: Versuche, einen Beweis von der Existenz dieses Mahres festzuhalten, und zeige ihn Deinem Bruder. Und dann klemmt Ihr die Beine unter die Arme und verschwindet, so schnell Ihr könnt.
    Solltest Du aber vorher spüren, dass Deine Kraft zu träumen nach-lässt, musst Du Deine Haut retten. Dass Du an dem Abend vor unserem Stelldichein auf der Weide nicht mehr tagträumen konntest, lag an mir - ich hatte es unterbunden, damit Du Deinem Schmerz nicht davonlaufen konntest. Du wirst die Gabe wiederfinden, sobald Du es versuchst. Übrigens bekomme ich dieses Bild nicht aus meinem Kopf: Du ziehst Dich

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