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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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damit bedeuten wollte. Jedes weitere Wort darüber war eines zu viel. Ich lehnte mich an das Heu in meinem Rücken und blickte in den sternklaren Himmel. Seine Schönheit ließ mich unberührt. Minuten vergingen, in denen keiner von uns etwas sagte. Wie ich schaute Colin zum Mond hinauf, der mir nicht wie der geliebte, ferne Begleiter vorkam, sondern wie eine matte Scherbe, die jemand an das schwarze Firmament geklebt hatte. Und auf einmal fiel mir ein, worüber ich sprechen konnte.
    »Diese Nacht, in der ich so deutlich von dir geträumt habe, die Nacht vor unserem Wiedersehen ... du ... du hattest mich gefragt, ob ich dich gespürt habe.«
    Hatte ich diesen Traum wirklich erlebt? Und gemocht? Ja, das hatte ich. Colin löste seinen Blick nicht vom Mond, doch seine Aufmerksamkeit galt mir. Das ermunterte mich weiterzureden.
    »Ich habe dich gespürt. Ich meine - mir ist schon klar, dass das ein Traum war, aber was ich träume, ist ja ein Teil von mir, oder?«
    Ich zog die Beine an und legte meine Wange auf meine Knie. Diese Nacht war so kalt, so erbärmlich kalt. Aber die Kälte arbeitete mir zu. Sie passte zu mir.
    »Also konnte ich mich nicht anlügen. Meine Empfindungen waren echt und ich war mir sicher, dass ich dich spüren wollte, es gab keine Sekunde, in der ich es nicht wollte oder daran zweifelte oder gar Angst bekam ...«
    Und jetzt sah ich mich wie aus weiter Ferne allein auf dem Feld sitzen, ein dünner, leerer Schatten. Ja, es war jemand neben mir, aber ich spürte ihn ebenso wenig wie mich selbst. Während des Traums waren wir eins gewesen, obwohl unzählige Kilometer uns getrennt hatten.
    »Ich weiß«, beschwichtigte mich Colin leise. »Das weiß ich, Ellie. Und ich weiß auch, dass es jetzt nicht mehr so ist. Die Nähe, die wir in Trischen hatten, am Abend nach deinem Traum ...«
    Ich erschauerte, als er Trischen sagte, und er hielt einen Moment inne, als wolle er mir Zeit geben, mich zu fassen.
    »Diese Nähe und mein Raub - es lag zu eng beieinander. Deine Seele hat es miteinander verbunden. Ist dir eigentlich bewusst, dass deinem Körper seitdem nur Gewalt widerfahren ist? Und du nichts anderes zulässt?«
    Die Bitterkeit in seiner Stimme lähmte mich. Ich musste warten, bis der Frost mich zum Zittern brachte und ich wieder sprechen konnte. Nun begann ich die Kälte dieser Nacht zu spüren.
    »Es ist nicht nur bei dir so, Colin. Es betrifft alle. Paul, Mama, Tillmann, Herrn Schütz. Jeder Handschlag ist wie ein Attentat! Meine Haut beginnt zu brennen und zu kribbeln und ich bekomme eine solche Wut dabei! Wie können die Menschen es nur wagen, mich anzufassen!«
    Ich war immer lauter geworden. Eines der Ponys wieherte nervös auf und sogleich antwortete ein anderes mit einem beruhigenden
    Prusten. Schlotternd hob ich mein Kinn, um Colin anzusehen. Er drehte seinen Kopf langsam zu mir. Er wirkte nach wie vor ausgeruht und satt, doch in seinen linken Mundwinkel grub sich die vertraute kleine Falte. Früher hätte ich meine Hand gehoben, um sie glatt zu streichen.
    »Colin, irgendetwas in mir hat vergessen, dass ich dich liebe.«
    Es blieb still. Die Pferde standen wie steinerne Statuen beieinander und regten sich nicht. Colin senkte seine Lider. Was fühlte er? Fühlte er überhaupt etwas? Wenn er nun auch nichts mehr fühlte -wie ich -, was taten wir hier dann noch? Wieso unternahm er nichts, um mir nahezukommen? Er hatte doch nichts Schreckliches erlebt.
    »Ich weiß nicht, wie ich mich daran erinnern soll - und du machst es mir nur schwerer, denn du stößt mich von dir weg!«, rief ich anklagend.
    »Erinnerst du dich an das, was ich dir von meiner leiblichen Mutter erzählt habe? Dass ich ihre Milch ablehnte?«
    Ich nickte beklommen. Wie hätte ich es vergessen können?
    »Sie überwand sich, mich zu stillen, entgegen ihrer Furcht, aber ich verweigerte mich. Weil ich spürte, dass sie es nicht wollte. Ich kann und will dich nicht dazu zwingen, Ellie, wenn ich doch genau weiß, dass du keine Berührung ertragen kannst.«
    »Aber ...« Ich klang beinahe panisch und schluckte krampfhaft, um nicht aufzuschluchzen. Jeder andere Junge hätte längst versucht, mich an sich zu ziehen und wieder das herzustellen, was vorher war. Colin schien die plötzliche Kluft zwischen uns einfach hinzunehmen, ohne Kampf, ohne Protest. Er ließ mich sein, wie ich war, zerstört und zugepanzert. Es war das Schlimmste, was er mir antun konnte. »Wenn du nichts machst, wird das ewig so bleiben - für immer! Es wird

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