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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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schlimmer, von Tag zu Tag!«
    »Ich sitze hier neben dir, Lassie. Wenn du etwas dagegen tun möchtest, dann tu es, in Gottes Namen.«
    »Bitte hilf mir dabei. Bitte.« Ich hatte einfach nicht die Kraft, mich zu rühren, weil mein Körper es mir verbot. »Es ist meine Entscheidung. Hilf mir.«
    In einer katzenhaften Bewegung glitt Colin hinter mich, sodass ich mich an ihn lehnen konnte. Sämtliche Muskeln in meinem Oberkörper verspannten sich, als ich es tat, und die Wut brüllte in mir, doch ich biss meine Zähne zusammen und hielt still. Nach einer Weile wagte Colin es, seinen Arm um meinen Bauch zu legen, ganz leicht nur, zu leicht, um ihn durch meine beiden Jacken zu spüren, und trotzdem zuckte ich, als hätte er mich geschlagen.
    Ich ließ meine Wange an seinen Hals sinken und hörte dem Rauschen in seinen Adern zu, bis ich etwas ruhiger atmen konnte und die Knoten in meinen Schultern sich zu lösen begannen.
    Ja, es wurde besser und auch die Wut mäßigte sich, doch es hatte nichts mit dem Glühen zwischen uns zu tun, das ich in Trischen gefühlt hatte, als wir uns geküsst hatten. Das Bedauern darüber, dass eine so schöne Nacht so schrecklich hatte enden müssen, trieb mir die Tränen in die Augen. Wenigstens konnte ich darum trauern, wenn ich schon keinen Kummer um uns empfand. Noch nicht.
    Nein, ich musste mich wirklich nicht um Tessa sorgen. Sie war weit, weit weg.
    Colin hielt mich bei sich, aber er tat es wie ein Freund, sicher und ruhig. Und doch saß ich lieber bei ihm in Freundschaft als bei jedem anderen in Liebe. Was waren die anderen überhaupt gewesen? Blasse, durchsichtige Gestalten.
    »Wie war es eigentlich - dein erstes Mal?«, fragte Colin, als wüsste er genau, woran ich dachte. Ich seufzte so dramatisch auf, dass er lachen musste, eine kleine, lebendige Erschütterung in meinem Rücken. Nun, wir waren Freunde. Was machte es schon aus, von diesem unrühmlichen Vorfall zu sprechen? Und ich war dankbar, über etwas anderes zu reden als uns.
    »Ich hab mich geschämt.«
    »Geschämt?«, fragte Colin mit einigem Erstaunen und sein kühler Atem streifte meinen Nacken. »Ich bin mir sicher, du bist es so umsichtig und gut vorbereitet angegangen wie jede einzelne deiner Klassenarbeiten.«
    Haha. Ja, das war ich. Aber genützt hatte es nichts.
    »Ich hab mich trotzdem geschämt. Erst für mich und dann für ihn, weil er gar nicht merkte, dass ich mich nicht besonders wohl dabei fühlte und ...« Ich brach ab. Wir mochten ja jetzt gute Freunde sein, aber leicht fiel mir dieser Dialog wahrhaftig nicht. Trotzdem sprach ich weiter. »Er war so überwältigt von der Sache und sich selbst, richtig high, redete davon, wie toll das doch wäre - er sah einfach nicht, dass mein Lächeln nicht echt war und ich eigentlich gar nichts dazu beigetragen hatte, außer mich nackt auszuziehen und auf sein Bett zu legen.«
    »Das kann unter Umständen sehr viel sein«, bemerkte Colin und ich hörte an seinem Tonfall, dass er schmunzelte.
    »Hmpf«, machte ich und strich spielerisch über seine Finger. Ich genoss es, das tun zu können, auch wenn es mir im Moment kaum etwas bedeutete. Ich tat es. Aus freien Stücken. Das hielt meine Wut im Zaum. Ich konnte es mir anschauen wie einen schönen Film.
    »Und wie war dein erstes Mal?«, fragte ich und biss mir im gleichen Moment auf die Zunge. Dumme Frage, Frau Sturm, sehr, sehr dumme Frage.
    »Nicht so toll«, antwortete Colin trocken. »Ich wurde vergewaltigt.«
    »Oh, das ist gut!«, entfuhr es mir mit nicht zu überhörender Erleichterung. Er hatte es nicht schön gefunden mit Tessa. Mehr musste ich nicht wissen.
    Colin lachte erneut auf. »Ich weiß dein tiefes Mitgefühl zu schätzen, Ellie.«
    »Und danach?«, löcherte ich ihn weiter. »Mit, ähm, normalen Menschenfrauen?«
    »Es war nicht immer schlecht. Aber meistens spürte ich irgendwann, dass sie es gar nicht wirklich wollten, Angst bekamen und trotzdem weitermachten, um mir zu gefallen. Das raubt mir jede Intimität. Ich war der typische Frühstücksflüchter.«
    Ich musste kichern. Nicht immer schlecht. Das klang nach vielen Nächten. Doch Colin war knapp hundertsechzig. Ich sollte Nachsicht walten lassen. Er nahm mich bei den Hüften, schob mich vom Wagen und drehte mich um, sodass ich vor ihm auf der Wiese stand und ihn ansehen musste.
    »Wenn du darüber hinwegkommen möchtest, Ellie, musst du noch einmal nach Trischen kommen. Es muss deine eigene Entscheidung sein. Vollkommen freiwillig«, sagte er ernst.

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