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Scherbenparadies

Scherbenparadies

Titel: Scherbenparadies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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alte Ehepaar heute lebte. In der Wohnung nebenan. Beide arbeitslos, der Monat ist fast um und Geldbeutel und Kühlschrank leer. Nachts geht der Mann heimlich in die Küche und isst vom Brot, das noch ein paar Tage reichen muss. Seine Frau ertappt ihn dabei. Beide reden nicht über diesen Vertrauensbruch. Warum wohl? Wer hatte eine Idee?
    Niemand meldete sich.
    »Sandra. Was meinst du?«
    Ihr brach kalter Schweiß aus. Weshalb musste er ausgerechnet sie fragen? Klar kannte sie die Antwort. Wer, wenn nicht sie? Erwartungsvoll sah Joswig sie an. Sandra starrte auf die Krakeleien auf ihrer Schulbank. »Weil er sich schämt. Und sie sich auch.«
    »Sie auch? Das glaube ich eigentlich nicht. Ich denke, ihr Schweigen ist als Vorwurf gedacht. Sie bestraft ihn damit. Weder er noch sie reden über ihre Gefühle und Gedanken. Diese Sprachlosigkeit war typisch für die Zeit, in der Borchert die Geschichte schrieb. Man sprach nicht über seine Gefühle und Sorgen. Gott sei Dank ist das heute nicht mehr so.« Etwas in seiner Stimme hatte sich verändert. Sandra konnte einfach nicht anders und hob den Kopf. Für eine Sekunde sahen sie sich in die Augen und sie verstand, was er meinte. Du weißt, dass ich es weiß.
    Nichts wusste er. Gar nichts! Er war ihr Klassenlehrer und hatte null Ahnung, was hier abging. Maja. Pat. Man sieht deine Muschi nicht. Take it with a smile. Pissnelke . Sonst springt sie vom Hochhaus. Das gibt nicht mal einen Fettfleck.
    Für den Rest der Stunde machte Sandra sich unsichtbar. Auch Bio überstand sie und dann war Pause. Auf dem Hof waren seltsamerweise die meisten damit beschäftigt, auf ihre Handydisplays zu starren. Manche grinsten oder lachten. Andere steckten die Köpfe zusammen. Fast alle guckten zu ihr. Sandra drehte die Musik lauter und stellte sich abseits an den Zaun. Von ihr aus konnten sich alle amüsieren. Es interessierte sie nicht, welches neue Fakefoto die Runde machte.
    Seit das Pinkelfoto gepostet worden war, hatte sie keinen Blick mehr auf ihren Facebook-Account geworfen. Warum auch? Sie hatte dort eh keine Freunde mehr. Ihre E-Mails fragte sie schon seit zwei Wochen nicht mehr ab. Wer sollte ihr schon mailen? Und wenn, dann war es garantiert nichts Nettes. Darauf konnte sie verzichten. Echt.
    Alina stand mit Janina drüben bei den Bänken. Auch sie starrten auf ihre Handydisplays. Überrascht sah Alina auf. Ihr Blick suchte Sandras und wich ihm gleich wieder aus. Es tat weh. So weh! Ein kalter Schmerz stieg in ihr auf, höher und höher, bis sie sich ganz taub anfühlte. War eigentlich gut so. Nichts mehr spüren. Alina. Ihre beste Freundin. Das hatte sie jedenfalls geglaubt. Aber sie war ja selbst schuld.
    Wie erfroren brachte sie die restlichen Stunden hinter sich. Es gelang ihr nur halbwegs, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Sie fühlte sich wie in einem dieser Computerspiele, in dem die Energiepunkte des Gegners von hundert auf null heruntergeschossen werden mussten. Ihre waren höchstens noch bei dreißig.
    Sie war froh, als die letzte Stunde vorbei war. Mit Vanessa an der Hand betrat sie wenig später die Wohnung. Das Handy in ihrer Tasche begann zu vibrieren. Eine MMS war eingegangen. Die Rufnummer war unterdrückt. Eigentlich wollte sie sich das nicht ansehen. Doch etwas in ihr war stärker und so tippte sie die Tasten.
    Es waren zwei Bilder. Und sie waren nicht gefaked. Ihre Knie wurden weich. Sie lehnte sich an die Wand. Das erste zeigte, wie sie die Orangen aus dem Container holte. Auf dem zweiten stand sie im Hof neben dem Polizisten. Sie hat ihm einen geblasen, damit er sie laufen lässt.
    Was!?
    Sandras Knie gaben einfach nach. Sie konnte es nicht verhindern. Langsam rutschte sie an der Wand hinunter auf den Boden.
    Schlimmer kann es nicht mehr werden. Das hatte sie erst heute Morgen noch gedacht. Wie beschissen dämlich von ihr! Es wird weitergehen und es wird immer schlimmer werden. Diese Fotos hatten sich also heute in der Pause alle angesehen. Alle glaubten nun, sie habe dem Polizisten…! Dass alle auch wussten, dass sie Lebensmittel aus dem Container holte, war im Gegensatz dazu schon fast harmlos. Verkraftbar. Das andere nicht.
    Vanessa kam angelaufen und kniete sich neben sie. »Bist du wieder ausgerutscht?«
    Mühsam gelang Sandra ein Nicken. Und noch mühsamer rappelte sie sich auf. »Kannst du zu Ayshe gehen? Ich muss heute ganz viel lernen.«
    »Klar. Darf ich jetzt gleich?«
    Sandra nickte. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was Öczans wohl

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