Scherbenparadies
dachten, weil Vanessa ständig zu ihnen kam. Nachdem sie nach oben gegangen war, schleppte Sandra sich in ihr Zimmer, ließ die Rollläden runter und kroch ins Bett. Dunkelheit umfing sie, doch die erhoffte Wärme stellte sich nicht ein. Sie wickelte die Bettdecke enger um sich. Ihre Hände und Füße blieben eiskalt. Sie fror erbärmlich.
Aus den Kopfhörern klang die Stimme des Grafen, so weich, so traurig, so schön. Das Leben ist mehr, als wir sehen. Schatten, die an uns vorüberziehen, weinen wir aus Trauer und Schmerz, spüren wir das Leben tief im Herz.
Der Klumpen im Hals wollte sich nicht lösen, die Tränen nicht fließen. Das Leben ist mehr, als wir sehen. Sie fühlte sich so kraftlos, dabei hatte sie heute Morgen noch geglaubt, stark zu sein. Stark wie ein Baum, der in der Sonne steht, stark wie die Wolke, die vorüberzieht, stark wie ein Engel, der zum Himmel fliegt. Dieses Bild war so schön. So schön wie die samtige Stimme des Grafen. Ein Engel, der zum Himmel fliegt. Ganz leicht und frei und ganz allein mit sich selbst.
Sie hat ihm einen geblasen, damit er sie laufen lässt.
Diese Worte pulsierten in ihrem Kopf, als wollten sie ihn zum Bersten bringen. Alle dachten das! Alle!
Egal was sie tat oder sagte, niemand würde ihr glauben, weil niemand ihr glauben wollte. Alle hassten sie. Sogar ihre eigene Mutter.
Sie hätte so gerne geweint. Doch es ging nicht. Der Druck in ihrer Brust wurde immer stärker, die Kälte saß tief in ihr drin. Nie wieder würde ihr warm sein. Auf Wiedersehen. Stark wie ein Baum, der in der Sonne steht, stark wie die Wolke, die vorüberzieht, stark wie ein Engel, der zum Himmel fliegt. Die Zeit steht still, die Erinnerung bleibt stehen. Wann werden wir uns wiedersehen?
Die Zeit steht still… und mit ihr alles… wie ein Engel, der zum Himmel fliegt… Einfach loslassen…
Das Handy auf dem Nachttisch begann zu vibrieren. Sandra griff ganz automatisch danach. Sie zitterte vor Kälte, die aus ihrem Innersten kam. Eine SMS leuchtete auf dem Display:
Tod, umarme mich, wärme mich, trage mich fort aus dieser Welt, wie ein Engel, der zum Himmel fliegt…
Jemand wusste genau, wie ihr zumute war. Jetzt in dieser Sekunde. Dieses Bild mit dem Engel… es war so schön. So verlockend.
Ein anderes stieg in ihr auf.
Einfach loslassen…
Das gibt nicht mal einen Fettfleck.
24
Das gibt nicht mal einen Fettfleck. Es hatte sie fast zerrissen vor Lachen. Schade, schade, schade, dass Alina dieser Bitch nachgelaufen war. Einen Fettfleck hätte es nicht gegeben, garantiert nicht. Dafür eine riesige Blutlache.
Sie drehte Adam Green auf volle Lautstärke und ließ sich rücklings aufs Bett fallen. Dabei malte sie sich Sandras zerschmetterten Körper aus, wie er da auf den U-Bahn-Gleisen lag. Zersplitterte Knochen, abgetrennte Arme und Beine, ein zerschmetterter Schädel und überall Blut. Blut. Blut. Geschah ihr recht, dieser scheiß Bitch.
Ich finde das Thema brandaktuell.
Klar findest du das Thema brandaktuell, du Müllschluckerin. Ihr seid so arm, dass du Abfall fressen musst. Gut, dass ich dich nicht aus den Augen gelassen habe. Es hat sich gelohnt. Zwei tolle Bilder. Echt super. Vielleicht sollte ich die mal Nils simsen, damit er endlich kapiert, mit wem er es zu tun hat. Mit einer Bitch, die Bullen fickt. Oder wie hast du es sonst geschafft, da heil rauszukommen?
Statt die Klappe zu halten und dich zu schämen, reißt du sie meilenweit auf, machst dich wichtig und schleimst dich bei Nils ein, als ob der dich auch nur mit Gummihandschuhen anfassen würde. Ständig drängst du dich zwischen Nils und mich. Du bist einfach nur lästig, lästig, lästig. Du bist so überflüssig wie eine Zecke. Mach dich vom Acker, und zwar für immer. Ich komme mit Rosen zu deiner Beerdigung.
Super, dass du Unheilig in deinem Facebookprofil als Lieblingsband angegeben hast. Garantiert hast du die heute eine Million Mal gehört. Hast du dich gefreut über meine SMS? Gibt sie dir jetzt den richtigen Drive? Stark wie ein Engel, der zum Himmel fliegt. Flieg schon! Tu es! Spring!
Sie wünschte es sich mit der ganzen Kraft ihres Herzens.
Flieg schon! Tu es! Spring!
Das gibt nicht mal einen Fettfleck.
Zu deiner Beerdigung komme ich mit Rosen.
25
Noch immer saßen die ungeweinten Tränen hinter ihrem Brustbein. Noch immer war ihr kalt. So kalt. Nie wieder würde ihr warm sein. Nie wieder würde es so sein wie früher. Nie wieder gut.
Tod, umarme mich, trage mich fort aus dieser Welt, wie ein
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