Scherbenparadies
bringen. Ein großes. Wenn es schiefging. Aber es würde nicht schiefgehen.
38
Okay. Plan B. Es konnte losgehen. Als sie das Klassenzimmer betrat, war Pat schon da. Prima. Die brauchte sie mittags. Jemand musste Sandra zehn Minuten aufhalten.
Doch Sandra kam nicht. Nicht in der ersten Stunde und auch nicht in der zweiten. Verdammtes Miststück. Das Ablenkungsmanöver konnte sie vergessen. Was tun?
Durchziehen. Einfach durchziehen. Das würde schon klappen und wenn nicht… Morgen war auch noch ein Tag.
Für die sechste Stunde täuschte sie Übelkeit vor und ließ sich vom Unterricht befreien. Bis kurz vor eins vertrieb sie sich die Zeit im Einkaufszentrum, probierte Stiefel, kaufte sich schwarzen Nagellack und dachte darüber nach, wie gut es war, dass sie Sandra seit vier Jahren kannte. Sie und ihre Mutter und auch ihre kleine Schwester. Und noch besser war, dass sie Sandra in den letzten Tagen so oft nachgegangen war. Das Highlight für die Umsetzung von Plan B war allerdings Sandras Facebookeintrag. Vor einigen Wochen hatte sie darüber geschrieben, wie Vanessa sich verlaufen hatte, weil sie einer Katze gefolgt war. Sandra war fast wahnsinnig vor Angst geworden.
Das war der Haken.
Sie brauchte nur noch den Köder.
Punkt eins betrat sie die Grundschule, die Vanessa besuchte. In der Aula warteten einige Mütter. Von Sandra war weit und breit nichts zu sehen. Der Gong erklang, die Klassenzimmertüren öffneten sich, eine bunte und lärmende Flut von Kindern ergoss sich in Flur und Aula.
Sie sah sich suchend um und entdeckte Vanessa weiter hinten an der Garderobe. Dort kämpfte sie mit den Schuhbändern ihrer Stiefel.
Sie setzte ein Lächeln auf. »Hallo Vanessa.«
Die Kleine sah hoch und runzelte die Stirn.
»Erinnerst du dich an mich? Ich bin mit Sandra in einer Klasse. Letzten Sommer waren wir mal Eis essen. Zusammen mit meinem Freund Sven.«
Ein Strahlen erschien auf Vanessas Gesicht, sie lachte. »Du heißt Sternchen, gell.«
»So nennt Sven mich. Er ist mein Freund und nur Freunde dürfen mich Sternchen nennen. Magst du mich auch so nennen?«
»Dann müssten wir ja Freunde sein.« Die Kleine legte den Kopf schief und sah fragend zu ihr auf.
»Ich bin Sandras Freundin, dann kann ich doch auch deine sein. Okay?«
»Okay.« Vanessa stand auf und schulterte den Schulranzen. »Aber jetzt muss ich heimgehen.«
»Sandra hat mich gebeten, dich abzuholen. Ihr geht es nicht so gut…«
»Muss sie immer noch kotzen? So wie Ayshe und ihre Schwester… die mussten alle kotzen… das ganze Wochenende.«
Okay, das erklärte, weshalb Sandra heute gefehlt hatte, und spielte ihr wunderbar in die Hände. Sie half Vanessa, den Schal umzulegen. »Sie kotzt sich die Seele aus dem Leib und will nicht, dass du dich ansteckst. Deshalb hat sie mich gebeten, mit dir zum Italiener zu gehen. Wir essen Spaghetti oder Pizza und danach bummeln wir durchs Einkaufszentrum. Einverstanden?«
»Ja. Klar. Toll! Darf ich auch Lasagne haben?«
»Natürlich.«
Sie nahm die Kleine bei der Hand und verließ mit ihr das Schulgebäude.
Wie kalt der Wind war.
Und wie heiß ihr Hass auf Sandra.
Bitch! Jetzt wirst du für deine Hochnäsigkeit bezahlen. Alles lief nach Plan.
39
Sandra lag im Bett. Sie hatte die Jalousien runtergelassen. Es war dunkel und sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Zehn Uhr, elf Uhr? Es kümmerte sie nicht. Alles war egal.
Ihr Kopf dröhnte vom vielen Weinen, das sie die ganze Nacht über kaum hatte abstellen können. Irgendwann im Morgengrauen waren die Tränen versiegt. Vermutlich hatte sie keine mehr. Sie fühlte sich wie tot. Nein, nicht wie tot. Wie halb. Ihre andere Hälfte fehlte. Nils! Allein der Gedanke an ihn… nie wieder… Love you so!!! Love you so!!!
Sie hatte nicht zur Schule gehen können, konnte nie wieder zur Schule gehen. Wenn sie ihn sah… Wie er sie geküsst hatte zum Abschied… für immer. Es gab kein Zurück. Wie sie die Sache auch drehte und wendete, es gab keine Lösung. Warum nur waren sie so unvorsichtig gewesen? Wer steckte dahinter?
Das Telefon im Wohnzimmer klingelte.
Schon eine ganze Weile.
Sie konnte nicht aufstehen, ließ es läuten, bis der Anrufer aufgab, und wälzte sich auf die andere Seite. Heute Morgen hatte Vanessa nach ihr geguckt, als sie nicht aufgestanden war. »Stehst du nicht auf?«
»Ich bin krank. Dieser Virus von Ayshe. Kannst du dir allein Frühstück machen?«
»Ja klar«, hatte Vanessa gesagt.
Bevor sie zur Schule gegangen war, hatte sie
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