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scherbenpark

scherbenpark

Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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riechen.
    Man darf einen Menschen auch gern weniger riechen als Vadim, habe ich immer geantwortet. Hat der eine Wasserallergie?
    Als ich klein war, habe ich mich einmal in der Schule gelangweilt, und da bin ich aufgestanden und weggegangen, hat meine Mutter mir erzählt.
    Ich langweile mich nicht. Aber ich gehe zwei Stunden früher nach Hause, weil ich Angst habe, auf meinem Stuhl zu erstarren. Im Gegensatz zu Anton habe ich keine große Schwester, die mich dann zurück ins Leben holt.
    Ich bin mir selber die große Schwester.
    Ich fahre durch den grauen Nebel mit der Straßenbahn nach Hause. An meinem Rucksack baumeln die an den Schnürsenkeln zusammengebundenen Turnschuhe, und in der Seitentasche steckt die zusammengerollte Zeitung.
    Unter meinem Sitz läuft die Heizung. Ich schaffe es nicht, mich umzusetzen.
    Aber ich werde so geröstet, dass ich immerhin etwas anderes schaffe: die Zeitung rauszuziehen und aufzuschlagen. Ich trage immer die ganze Zeitung mit mir herum, anstatt den Lokalteil rauszunehmen. Ich mache es einfach so. Die Blätter sind zerfranst und fallen auseinander.
    Ich gucke mir Vadims Foto mehrmals täglich an. Das bereitet mir unerträglichen Kitzel, auf den ich nicht mehr verzichten kann. Und das ist das Einzige, das mich aus dem grauen Nebel reißt. Es erinnert mich daran, was ich alles noch vor mir habe und dass Träumen allein nicht reicht.
    Dumme, hirnlose, blinde Gans, denke ich. Hast du schon gehört, dass jede Zeitung ein Impressum hat? Und was da alles drinsteht?
    Drin steht unter anderem die Adresse.
    Ich steige aus der Straßenbahn und nehme die andere, die gerade aus der Gegenrichtung kommt. Ichfahre zum Hauptbahnhof. Dort ziehe ich eine Fahrkarte aus dem Automaten und sinke auf den stinkenden Sitz in der S-Bahn nach Frankfurt.
    Es muss irgendwie gehen ohne Stadtplan.
    Und es geht bestens. Am Frankfurter Hauptbahnhof hängt einer. Ich finde die richtige Straße. Ich heiße nicht Maria und kann Stadtpläne leicht lesen. Es sind drei lächerliche Haltestellen mit der U-Bahn.
    Das Gebäude, vor dem ich stehe, habe ich mir imposanter vorgestellt.
    Es ist ein grauer Kasten, mehr hoch als breit. Über dem Eingang ist ein blauer Schriftzug mit dem Namen. Ich trete durch die Glastür und werde von einer Art Theke aufgehalten. Dahinter sitzt eine schöne junge Frau und lächelt mich an. Neben ihr sitzt eine andere, etwas ältere schöne Frau, telefoniert und lächelt ebenfalls in meine Richtung.
    In mir regt sich so etwas wie Schüchternheit.
    »Guten Tag«, sagt die Frau ohne Telefonhörer. »Kann ich Ihnen weiterhelfen?«
    Ich räuspere mich und vergesse für zwei Sekunden, weswegen ich da bin. Die Frau lächelt geduldig. Immer wieder wandert ihr Blick zu der zusammengerollten Zeitung, die ich in der verschwitzten Hand halte.
    So sieht es hier also aus, schießt es mir durch den Kopf. Hier passiert das. Ich spüre Ehrfurcht.
    »Haben Sie eine Frage?« Die Frau lässt nicht locker. Ihr Lächeln verblasst dabei überhaupt nicht.
    Ich zwinge mich, in diesen Moment zurückzukehren und nicht dauernd davonzuschweben wie oft in den letzten Tagen.
    »Ich möchte jemanden sprechen«, sage ich und zucke selber zusammen, weil das überraschend laut kommt.
    »Jemand Bestimmten?«
    »Ja. Susanne Mahler.«
    »Haben Sie einen Termin?«
    »Nein«, sage ich und schlucke.
    »Einen Augenblick bitte.« Die Frau senkt die Augen und greift zum Telefonhörer. Sie drückt ihn an ihr linkes Ohr mit einem kleinen Perlenohrring und sieht mich wieder an. Sie fragt etwas, aber ich war zwischendrin schon wieder abgelenkt.
    »Was?« frage ich wie Anton. Und korrigiere mich, wie ich ihn korrigiere: »Wie bitte?«
    »Ihren Namen bitte.«
    »Sascha. Sascha Naimann. Sagen Sie, das ist die . . . die Stieftochter von Vadim E.«
    »Vadim E.? Sascha Naimann? In Ordnung.«
    Sie wählt die Nummer und beginnt zu sprechen. Ich verfolge die Bewegungen ihrer Lippen und lasse die Turnschuhe wie ein Pendel hin und her baumeln.
    Die Frau am Telefon hebt die Stimme und blickt in meine Richtung. »Vadim E., sagten Sie? Sascha Naimann?«
    »Ja.«
    Jetzt hört sie kurz zu und legt auf.
    Ich sehe mich um auf der Suche nach Sicherheitsleuten, die mich sogleich hinausführen werden.
    Wahrscheinlich ist das dumm, aber ich fühle mich wie in einem Tempel, den ich vorhabe zu entweihen.
    Die Frau spricht schon wieder zu mir, und ich habe den Anfang nicht mitgekriegt.
    »Frau Mahler wird Sie sogleich abholen.«
    »Abholen?« Ich erschrecke kurz, aber

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