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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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die Empfangsdame kann nichts für meine Assoziationen.
    »Ja. Sie hat gesagt, sie kommt sofort herunter, sonst hätte ich Sie in den Empfangsbereich begleitet, aber das lohnt sich nicht.«
    »In den Empfangsbereich?« frage ich töricht, und dann geht seitlich eine Tür auf, und ich sehe sie. Es sind zwei.
    Ich erkenne sofort, wer davon Susanne Mahler ist, denn das andere ist ein Mann. Ich blicke in sein Gesicht, das sich langsam nähert und dabei immer relativ weit oben bleibt. Ein großer Mann, noch nicht alt, aber das Haar komplett grau. Mit Jeans, einem weißen Hemd und darüber einem dunkelblauen Jackett.
    Ich hasse Männer, denke ich selbstvergessen. Hasse ich Männer?
    Seine Hand streckt sich in meine Richtung. »Frau Naimann?«
    Ich nicke, dann fällt mir irgendwann ein, dass ich die Hand schütteln könnte. Ich wische meine feuchte Rechte an der Jeans ab und umklammere kurz seine Finger. Den Namen, den er dabei nennt, verpasse ich. Dann drücke ich Susanne Mahlers Hand, sie ist kühl und weich und wie eingecremt.
    »Das ist Frau Mahler«, sagt der Mann.
    »Das habe ich mir gedacht«, sage ich heiser.
    Frau Mahler ist so groß wie ich. Sie ist Ende zwanzig, vielleicht auch Anfang dreißig. Sie hat kurzes schwarzes Haar, das verspielt gelockt ist, ziemlich roteLippen und leicht zusammengekniffene Augen. Sie trägt ein eng anliegendes cremefarbenes Oberteil und eine dunkle Hose. Sie hat ein sehr hübsches Gesicht, verschlechtert sich aber, je tiefer man blickt. Bis zur Taille sieht sie tadellos aus, danach breiter, als für sie gut ist.
    Ich sehe ihr in die Augen und erkenne – Angst. Sie kneift die Augen noch mehr zusammen und hebt das Kinn an, um das zu verbergen.
    Wovor fürchtet die sich denn, denke ich stumpf. Was kann ihr schon passieren in ihrem Leben? Dann fährt die Erkenntnis schnell wie ein ICE an mir vorbei und verschwindet wieder am Horizont. Sie denkt, ich will mich beschweren, kapiere ich. Ich komme ohne Vorwarnung und sehe aggressiv aus.
    Und eigentlich hat sie völlig recht.

Frau Mahler und der Mann nehmen mich in ihre Mitte und fahren mit mir Aufzug. Ich schweige, auch wenn es vielleicht unhöflich ist. Frau Mahler versucht mich anzulächeln. Ich versuche mich zu konzentrieren und sehe sie nicht an. Lieber sehe ich auf den Mann, der wiederum interessiert die Ziffern an den Knöpfen des Fahrstuhls studiert.
    Er benimmt sich so, als hätte er meine Stimmung begriffen, denke ich. Wenn es so weitergeht, werde ich mich nicht konzentrieren können. Ich muss aber ihm und der Frau Mahler etwas sagen. Wenn mir schon das misslingt, wie will ich dann Vadim töten?
    Sie führen mich in einen rechteckigen Raum mit einem großen Fenster. In der Mitte des Raums steht ein runder Tisch. Darauf eine Kanne, drei Tassen, Flaschen mit Mineralwasser und Gläser. Außerdem ein Teller mit Keksen.
    Der Mann greift nach einer Stuhllehne und zieht sie an sich.
    Er setzt sich aber nicht hin, sondern weist den Stuhl mir zu und läuft einmal um den Tisch, um sich mir schräg gegenüber zu setzen.
    Frau Mahler muss ihren Stuhl selber hervorrücken. In ihrem Gesicht steht eine solche Panik, dass sie mir bereits leid tut. Ich denke, dass ich meine Rede umformulieren sollte.
    »Bitte, Frau Naimann«, sagt der Mann, als wir dann alle sitzen. »Was haben Sie auf dem Herzen?«
    Schon wieder Herzen, denke ich müde. Und ich bin noch nie in meinem Leben mit »Frau Naimann« angesprochen worden. Bis auf den heutigen Tag. Und dann gleich mehrmals. Mich drängt es, mich umzudrehen und nachzusehen, ob hinter mir nicht eine andere Frau Naimann steht.
    Der Mann sieht mich aufmerksam an. Frau Mahler zappelt ein bisschen auf ihrem Stuhl.
    Ich hole meine Zeitung aus dem Rucksack und schlage sie auf. Vadims Gesicht liegt vor mir, und ich lege meine Faust darauf.
    »Ich komme deswegen«, sage ich. »Ich habe das gelesen.«
    »Sie kommen wegen Frau Mahlers Bericht?« fasst der Mann scharfsinnig zusammen.
    Ich nicke.
    »Wie finden Sie ihn?« fragt er.
    »Beschissen«, sage ich.
    Frau Mahler versucht zu lächeln und schafft es nicht. Ich drehe mich zu ihr.
    »Entschuldigung«, sage ich. »Ich will Sie nicht persönlich angreifen, aber das ist natürlich schwierig zu vermeiden, wenn es um Ihren Artikel geht. Sie sind bestimmt eine gute Journalistin. Aber dieser Artikel ist . . . er ist unmöglich. Sie können sich mit ihm nicht unterhalten, als wäre er ein Mensch. Sie können das nicht einfach so schreiben. Er hat meine Mutter und einen

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