scherbenpark
Gefängnisbesuch schnell geschrieben, auf der Seite war Platz, und da ist er gleich am nächsten Tag mitgenommen worden. Stand also im Blatt. Zu Ihrer Information: Texte, die Volontäre schreiben, müssen immer von Redakteuren gelesen und, falls nötig, überarbeitet werden.
Und dabei gibt es innerhalb unserer strengen Standards auch einen gewissen Ermessensspielraum, was denn nun als druckreif gilt. Abgesehen von unterschiedlichen Geschmäckern, dem Zeitdruck und sehr vielen anderen Faktoren. Ich muss Ihnen gestehen, dass ein Kollege beim Redigieren dieses Berichts nicht die notwendige Sorgfalt hat walten lassen. Und Redigieren ist in diesem Fall eigentlich schon ein Euphemismus. Denn bei Frau Mahlers Text gab es nicht bloß ein paar Schönheitsfehler. Wenn man sich dieses Themas überhaupt annimmt, darf man das so nicht schreiben. Es hätte ganz anders gemacht werden müssen, und ich fürchte, dass Frau Mahler dafür die völlig falsche Person war. Ihr Bericht ist unzumutbar. Für Sieals Betroffene ist er in verstärktem Maße unzumutbar. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
Ich höre stumm zu, wie hypnotisiert von den Drehbewegungen des angebissenen Kekses.
»Ich muss also Ihnen gegenüber die Verantwortung für etwas übernehmen, was ich nicht habe verantworten können. Was auch immer Sie uns vorwerfen, Sie haben völlig recht.«
»Warum müssen Sie das?« frage ich.
»Wie bitte?«
»Warum müssen Sie Verantwortung übernehmen?«
»Weil ich Ressortleiter bin«, sagt der Mann ausdruckslos. »Ich führe sozusagen die Lokalredaktion an. Und als ich aus meinem Urlaub zurückkam, hat sich Frau Mahler viel von mir anhören müssen zu ihrem Bericht und auch der Kollege, der ihn ins Blatt gesetzt hat. Deswegen war sie ein bisschen nervös, als Sie uns spontan mit Ihrem Besuch beehrt haben. Ich hatte zu Frau Mahler noch gesagt: ›Es ist das erste Mal, dass ich hoffe, dass unsere Zeitung nicht so verbreitet ist und dass die Familien der Opfer Ihr Geschreibsel niemals lesen müssen.‹ Meine Hoffnung hat sich nicht bestätigt. Ich bitte Sie von ganzem Herzen um Verzeihung.«
Er steckt den Keks ganz in den Mund und lächelt mich an. Es ist ein schiefes Lächeln, weil seine linke Wange ausgebeult ist.
»Es tut mir so leid«, sagt er plötzlich mit vollem Mund. »Ich habe die Berichterstattung vor zwei Jahren verfolgt. Nicht nur von Berufs wegen. Diese Tat hat in mir eine Art von Bestürzung und Betroffenheitausgelöst, die vieles übertroffen hat, was ich bislang in meiner Arbeit erlebt habe. Es tut mir wirklich leid.«
Ich nicke.
Danach schweigen wir eine Weile. Ich höre, wie er den Keks zwischen den Zähnen zermalmt und runterschluckt. Anschließend schenkt er sich Kaffee ein und hantiert mit der Sahne.
»Was kann ich für Sie tun, Sascha?« fragt er dabei. »Sie können es wieder für eine Floskel halten, aber ich würde sehr vieles tun, um Ihnen das Leben irgendwie zu erleichtern. Haben Sie eine Idee, was es sein könnte?«
Ich versuche nachzudenken. Nicht, dass ich wirklich eine Idee hätte, aber ich möchte etwas antworten, was ausnahmsweise nicht völlig idiotisch klingt. Das Klügste, was ich in diesem Raum von mir gegeben habe, war das Schweigen.
In meinem Blickfeld taucht ein weißes Rechteck mit Buchstaben auf. Ich strecke die Hand aus. Das Rechteck fällt auf meine Handfläche.
Lesen kannst du doch, Frau Naimann, denke ich. Du hast es dir mit vier Jahren selber beigebracht. Seitdem hast du alles gelesen, was du in die Finger kriegen konntest.
Jetzt lies endlich.
Und ich lese: Volker Trebur, Ressortleiter, Lokalredaktion, Adresse, Telefonnummern, E-Mail, Adresse, Telefonnummer privat.
Ich sehe den Mann fragend an.
»Rufen Sie mich an, wenn Ihnen einfällt, was ich für Sie tun kann«, sagt der Mann. »Warten Sie, da ist meine Handynummer nicht drauf.« Er zieht einen Kugelschreiberaus der Brusttasche, nimmt das weiße Rechteck aus meiner Hand, schreibt eine Zahlenreihe drauf und schiebt das Kärtchen zurück zwischen meine sperrigen Finger. »Es wäre mir eine Ehre«, sagt er tonlos.
Ich versuche, die Karte in die Hosentasche zu stecken. Dazu muss ich aufstehen, und die Karte fällt auf den Boden, ich bücke mich und drücke sie in der Faust zusammen.
»Einverstanden?« fragt der Mann.
»Was? Wie bitte?«
»Überlegen Sie sich was.«
»Ich weiß nicht, ob mir etwas einfällt«, murmle ich.
»Ich bin ziemlich unkreativ.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Dann halt nicht.« Ich ziehe
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