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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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hast du das nicht gleich gesagt? Kannst du den nicht sausen lassen?«
    »Ich hätte es gleich sagen sollen. Aber ich habe es vergessen.«
    »Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«
    »Was ist eigentlich, wenn du auf Teneriffa Atemnot bekommst?« frage ich.
    »Sag doch lieber . . . «
    »Sag du lieber, was dann passiert.«
    Felix verliert schlagartig das Interesse am Gespräch.
    »Dann bis morgen«, sagt er.
    »Felix, ich hasse es, wenn ich keine Antwort bekomme.«
    »Warum fragst du denn? Machst du dir etwa Sorgen?«
    »Was für eine Frage«, sage ich. »Was willst du hören? Ja! Ja! Ja! Ich mache mir Sorgen.«
    »Es ist so«, sagt Felix mit genervtem Unterton in der Stimme, »dass wir immer in der Nähe eines Krankenhauses sein müssen. Ich habe keine Ahnung, ob es da auch Städte gibt, aber wenn die keine Krankenhäuser auf Teneriffa hätten, würde Volker nicht hinfliegen wollen. So einfach ist das. Er wird Unterlagen und Medikamente einpacken und eine Liste der Uniklinik, was im Notfall zu machen ist. In der Regel schafft es auch jedes kleinere Krankenhaus. Und außerdem ist mein Arzt telefonisch immer erreichbar, falls die anderen mal nicht weiterkommen. Was willst du noch wissen?«
    »Danke, dass du mich beruhigt hast«, sage ich. »Jetzt mal ganz ehrlich.«
    »Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass ich dich nicht leiden kann?« fragt Felix. »Also wirklich überhaupt nicht?«
    »Hast du«, sage ich. »Schon oft. Grüß Paz.«
    Er knallt den Hörer auf. Wahrscheinlich auf den Tisch, so, dass ich es höre. Erst danach verschwindet er aus der Leitung.
    Und ich laufe in den dritten Stock, um Alissa von ihrer Freundin Katja abzuholen.
    Der Solitär hat dünne Wände. Alissas Stimme ist bereits im fünften Stock nicht mehr zu überhören. Sie ist hoch und durchdringend und laut und fröhlich. »Künftiger Sopran«, hat meine Mutter schon gesagt, als Alissa noch ganz klein war und nach ihrer Milchflasche geplärrt hat. »Im Ultraschallbereich«, habe ich geantwortet. »Wie ein Delphin. Bohrt sich direkt ins Gehirn.«
    Ich klinge ganz anders. Meine Stimme ist tiefer und kratziger. »Weil ich geraucht habe, als du bei mir im Bauch warst«, hat meine Mutter gesagt.
    »Ich würde nicht rauchen, wenn ich ein Kind bekomme.«
    »Du bist auch klüger als ich.«
    »Und deswegen bekomme ich keine Kinder.«
    »Das habe ich früher auch gesagt. Bis ich dich hatte. Dann wusste ich, so ein Glück muss man wiederholen.«
    »Und hast dabei geraucht.«
    »Das tut mir jetzt auch so leid, meine Süße. Ich würde es heute anders tun. Du hättest ja einen Nierenschaden davon bekommen können.«
    »Und jetzt habe ich einen Bass, weil du geraucht hast.«
    »Einen Tenor eher. Dein Vater war ein Bass. Wie er seine Vorlesungen gehalten hat. Ich war einmal dabei, ich habe nur ein Wort verstanden.«
    »Welches?«
    »Und.«
    »Weißt du was? Das interessiert mich nicht.«
    »Das hat er auch immer gesagt. Zu allem, was ich ihm erzählt habe.«
    Anton hat keine hohe und keine tiefe Stimme. Er hat eigentlich fast keine Stimme. Sie raschelt leise daher. Der ganze Anton ist fast unsichtbar, dünn und blond und sanft und ängstlich.
    Anton, denke ich. Mein Anton. Ich würde dir meine Stimme geben und meine Synapsen und alles, damit du es packst. Aber ich glaube nicht, dass dir das helfenwürde. Ich habe so Angst um dich. Ich weiß, dass du es nicht schaffen wirst. Therapie hin oder her. Und das macht mich fertig. Wenn du Glück hast, wirst du einmal so sein wie Harry.
    Wenn du so wirst wie Vadim, bringe ich dich um.
    Damals, als deine Eltern von diesem ersten Elterngespräch bei deiner Klassenlehrerin kamen, da hast du, mein lieber kleiner Anton, einen beschissenen Abend erlebt. Dein Vater war so wütend auf dich, dass er ständig an dieser gottverdammten Krawatte gezerrt hat, die unsere Mutter mit so viel Mühe gebunden hatte, als würde sie ihm jetzt die Luft abschnüren.
    Dieses blaugraue Pünktchen-Muster hat sich bei mir eingebrannt, auf immer und ewig. Und Vadims Gesicht über diesem Muster, wütend, rot angelaufen, die Augen ganz schmal.
    Und Worte, seine Worte.
    »Wie wagst du es – mein Sohn – schlecht in der Schule – keine Antwort geben – Schwachkopf, Versager, Schlappschwanz – war das peinlich – kleiner Idiot – halt's Maul, du, dich hat hier keiner gefragt – ich warne dich wirklich, jetzt rede ich – ich bitte dich, sag deiner Göre, sie soll die Schnauze halten, sonst passiert hier was – nie, nie, nie wirst du

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