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scherbenpark

scherbenpark

Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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noch mehr Angst.«
    »Gott sei Dank«, sagt Volker dumpf.
    »Ich habe so Angst!«
    »Meine Süße.«
    »Ich halte es hier nicht mehr aus.«
    »Wo?«
    »Im Solitär. Ich habe mich immer an diese Wohnung geklammert. Aber ich kann nicht mehr. Ich will hier raus. Vielleicht in die Innenstadt, ich muss ja hier die Schule fertig machen. Ich hasse den Solitär. Ich hasse diese Leute. Ich kann nichts dafür, und sie können noch weniger dafür. Alles arme Schweine. Und sie werden immer ärmer. Ich provoziere sie, und sie lassen sich das gefallen und hassen mich insgeheim. Ich hasse diesen Gestank hier und die Wäsche auf den Balkonen und die Satellitenschüsseln . . .«
    ». . . die gibt's doch auch anderswo. Nicht weinen, bitte. Ich kann dich doch von hier aus gar nicht trösten. Wir kümmern uns um den Umzug, okay? Sobald wir aus dem Urlaub zurück sind. Das ist doch überhaupt kein Problem. Ich bin auch froh, wenn du nicht mehr dort wohnst. Apropos Urlaub, fliegst du mit?«
    »Eher nicht«, sage ich.
    »Warum nicht?«
    »Das weißt du doch.«
    »Weiß ich nicht. Überleg's dir noch mal.«
    Ich liebe dich, denke ich, sind die traurigsten Worte der Welt.

Im Juli ist er weg. Mit Felix. Es ist sengend heiß, der Solitär speichert die Wärme und strahlt sie bis in die tiefe Nacht wieder ab, noch in den wenigen Stunden, in denen es ein bisschen dämmrig wird.
    Maria stöhnt jeden Morgen, dass sie den Tag nicht überleben wird. Der Abreißkalender für die orthodoxe Hausfrau versorgt sie mit neuen Rezepten für kalte Suppen und warme Gesichtsmasken. Eine große Gurke reicht für beides.
    Sie hat auf der Straße einen breiten, nur wenig zerknautschten Strohhut gefunden, den trägt sie immer, wenn sie das Haus verlässt. Damit sieht sie aus wie ein gigantischer Pfifferling.
    Ich habe ihr den Weg zum Freibad gezeigt und eine Dauerkarte besorgt. Morgens packt sie eine große Kühltasche mit zwanzig Butterbroten und Mineralwasser und Trauben und Wassermelone und sauren Gurken und Apfelkuchen und geht mit Anton, der ebenfalls Ferien hat, schwimmen. Dort springt und tobt er mit seinen Schulfreunden, während Maria unter ihrem Strohhut im Schatten einer Eiche liegt, sich mit einem Werbeblättchen Luft zufächert und darüber staunt, dass alle Wespen des Viertels sich um ihre Kühltasche drängen. Mittags kommen Maria und Anton heim, essen kalte Suppe, holen Alissa vom Kindergarten ab und gehen wieder ins Freibad.
    Ich bin seitdem viel freundlicher zu Maria, weil ich sie für eine echte Märtyrerin halte. Ich habe sogar einmal ihren türkisfarbenen Badeanzug gelobt, den einzigen im Fabrikverkauf, der ihr nicht zu klein war. Ich mache mir nur ein bisschen Sorgen, wenn sie abends vor dem Fernseher zerfließt und mit knallrotem Gesicht schnauft wie ein Nilpferd. »Wir Leute aus Nowosibirsk«, sagt sie dann, »sind für solches Wetter nicht gemacht. Wir gehen da einfach ein.«
    Und so sieht sie auch aus.
    »Vergiss nicht zu trinken«, sage ich dann. Und fügeim Stillen hinzu – wer weiß, ob Vadim noch mehr Cousinen hat?
    Ich bin glücklich, dass Anton endlich auch sein Seepferdchen-Abzeichen hat und vor allem, dass nicht ich mit den Kindern ins Schwimmbad muss.
    Es ist mir zu laut und zu grell dort. Sobald ich das Chlorwasser rieche, beginnen meine Füße zu jucken. Ich habe weder Lust, auf einer Wiese für Familien zu liegen, wo kleine Kinder ihr Eis auf mein Handtuch tropfen lassen und große Kinder mir Fußbälle ins Gesicht schießen, noch auf einer anderen Wiese zu sein, wo die Absolventen der benachbarten Haupt- und Realschule rauchen, ins Gras spucken und ihre glücklich kreischenden Freundinnen hin und her schubsen.
    Mich kotzt das an.
    Peter ist auch dort. Er sieht nicht in meine Richtung und ich nicht in seine. Auch nicht, wenn wir uns mal im Treppenhaus begegnen.
    Wenn ich allein zu Hause bin, lasse ich die Rolläden runter und höre Eminem. Ich drehe die Musik ganz laut auf, und es ist mir egal, dass alle im Solitär das hören können.
    Früher war es mir noch peinlich, Eminem zu mögen. Ich hätte es niemals zugegeben. Für den Fall, dass mich jemand danach gefragt hätte, hatte ich immer die Ausrede parat, dass es Antons Musik ist.
    Aber natürlich fragt mich keiner. Es schallt eh allerhand Zeug durch den Solitär und vermischt sich im Treppenhaus, Marschmusik, Techno, Quietschpop, Best of altes russisches Kriegslied, die Mondscheinsonate, Jesus Christ Superstar, Bizets Carmen,verrauschte Radiosender – »Und jetzt diese

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