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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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daherreden. Na gut, die neue Sprache können sie nicht lernen – aber wie schaffen sie es, auch noch die alte zu vergessen?
    »Wie – vorbereiten?« habe ich sie nachgeäfft. »Ganz klassisch. Ich komm zu dir, du schlägst ein Buch auf, ich erkläre dir die Regeln, du löst die Aufgaben, du verstehst von Mal zu Mal mehr – schon mal so was ausprobiert?«
    Sie hat den Kopf so entgeistert geschüttelt, als ob ich gefragt hätte, ob sie ihren Tag mit Gruppensex beginnt.
    »Aber«, hat sie gefragt, »wieso?«
    »Vielleicht, damit du deine blöde Prüfung schaffst?«
    An diesem Punkt hat sie wieder angefangen zu heulen. Ich habe staunend zugesehen, wie die Brocken der Wimperntusche ihre Lider verklebten. Sie hat die Klumpen dann mit ihren Händen weggemacht und zwischen den Fingern zerrieben. Danach an der Wand abgewischt.
    »Ich weiß nicht«, hat sie gesagt, und das fand ich plötzlich sehr lustig.
    »Wir machen es einfach«, sagte ich. »Ein bisschen lernen. Völlig ungefährlich. Macht nicht süchtig. Dich ganz bestimmt nicht.«
    »Und wenn ich sie doch nicht schaffe«, fragt sie, »diese Scheiß-Prüfung?«
    »Was dann?«
    »Dann ärgerst du dich bestimmt.«
    Da habe ich gelacht. »Und wie ich mich dann ärgere«, habe ich gesagt. »Wenn du es nicht schaffst, solltest du mir danach wirklich lieber aus dem Weg gehen.«
    Plötzlich hat sie gelächelt.

Ich komme jeden Morgen um zehn zu ihr. Eine halbe Stunde vorher stehe ich auf, dusche, esse und lese dabei, während Maria mit Anton schon im Freibad ist und Alissa im Kindergarten. Es ist die beste Zeit des Tages.
    An jedem zweiten Tag muss ich fünf Minuten Sturm klingeln und dann noch gegen die Tür treten, bis Angela aufmacht. Sie tut es immer erst dann, wenn ich schon aufgegeben habe und runter in unsere Wohnung gehen will. Plötzlich geht die Tür auf, und Angela erscheint in ihrem Pyjama mit Teddybären, mit abstehenden blondierten Haaren, im Gesicht der Abdruck des Kissens.
    »Hä?« sagt sie dann. »Wer? Du?«
    »Hä?« sage ich. »Was? Integral?«
    So wird sie schlagartig wach. »Scheiße«, sagt sie dann deprimiert. »So eine verfickte Scheiße. Ich habe doch gerade so schön geträumt.«
    Sie zieht dann, ohne sich an meiner Anwesenheit zu stören, ihren Schlafanzug aus und zwängt sich in einen Minirock oder noch irgendwas von der Art. Sie hat ganz helle, milchig weiße Haut und immer wieder perlmuttfarbene blaue Flecken. Nach dem sekundenschnellen Ankleiden häuft sie Instant-Zitronentee in ihre Tasse, legt ein dickes Stück Käse auf eine Scheibe Toast und ein noch dickeres Stück Wurst darauf, spritzt angestrengt, mit ausgestreckter Zungenspitze, eine Ketchup-Spirale obendrauf und setzt sich zu mir mit der Begeisterung eines Galeerensträflings.
    Ich finde es schade, dass uns keiner mit der Kamera aufnimmt. Angela ist ja nicht ganz blöd, sondern nur streckenweise. Manchmal versteht sie was, aber meistens steht sie völlig auf dem Schlauch. Beim Rechnen muss sie ihre Finger zu Hilfe nehmen. Sie hält sich oft die Hand schützend vors Gesicht, wenn sie eine Aufgabe sieht.
    »Das sind doch nur Zahlen«, sage ich. »Die beißen nicht. Du musst mit ihnen spielen.«
    »Spielen?« fragt sie entsetzt und sieht mich von der Seite an. Sie hat Angst vor mir, ein bisschen wie Maria. Ich bemühe mich, geduldig zu sein, habe Angela aber trotzdem schon ein paar Mal angeschrien.
    Sie hat aber nicht nur deswegen geheult, sondern aus grundsätzlicher Verzweiflung. Sie heult fast jede Stunde.
    »Ich verstehe nichts!« sagt sie oft. »Warum wollen die mich damit foltern?«
    »Damit dein hübsches Köpfchen vor lauter Leere und Leichtigkeit nicht davonfliegt«, sage ich. »Oder meinst du, dir würde dann nichts fehlen?«
    »Was?«
    »Nichts.«
    »Ich werde durchfallen«, sagt Angela. »Ich weiß es genau. Findest du meinen Kopf wirklich hübsch?«
    »Geht so«, sage ich. »Bin ja kein Typ.«
    Aber es ist nicht so, dass unsere Stunden gar nichts bringen. Ein bisschen besser wird es schon. Wenn Angela mal etwas verstanden hat, wird sie vor Glück ganz verlegen. Sie schlägt dann ihre Augen nieder und wartet mit rosa Wangen auf mein Lob.
    »Geht doch«, sage ich. »Wenn du nur ein bisschen nachdenkst.«
    »Das war Zufall«, sagt sie dann bescheiden. »Ich sag doch, ich kann einfach kein Mathe.«
    »Aber das war doch eben richtig.«
    »Ich sag doch, aus Versehen.«
    »Angela, du brauchst mit mir nicht zu flirten. Ich weiß auch so, wie wenig du kannst. Aber das eben war ganz

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