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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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dann liebend gern identifizieren und sagen: Ja, das ist er. Ist doch sofort klar, wer sonst? Man hat es ihm einfach damals noch nicht angesehen, als er noch am Leben war, aber genau so wirkte er im Grunde schon immer auf mich.
    Das Auflösen in Salzsäure ergibt auch einen schönen Effekt.
    Aber so ein Fass mit Salzsäure auf dem Balkon und Vadim stückweise darin – das fände Maria sicher unhygienisch, und sie hätte ausnahmsweise recht. Überhaupt wirst du jetzt albern, Frau Naimann.
    Was singen wir gerade, Marshall?
    And Hailie is big now, you should see her, she is beautiful.
    But you'll never see her, she won't even be at your funeral.
    Genau. Aber nicht Hailie, sondern Alissa.

Felix war so sauer, dass ich nicht auf Teneriffa mitgekommen bin, dass er geschworen hat, garantiert keine Karte zu schicken. Das hat er am Telefon gesagt, ich habe wüten de Tränen in seiner Stimme gehört. Und Volker im Hintergrund – »Dann schicke ich halt eine«.
    Felix hat wieder den Hörer aufgeknallt, aber Volker hat noch mal zurückgerufen.
    »Es hätte uns gefreut«, hat er dann gesagt. »Aber ich kann auch verstehen, wenn du nicht willst. Oder andere Pläne hast.«
    »Vielleicht ein anderes Mal«, habe ich dann gesagt. »Vielleicht nächstes Jahr. Falls ihr mich dann noch dabeihaben wollt.«
    »Nächstes Jahr will ich garantiert einen nicht mehr dabeihaben«, hat Volker gesagt, und es klang eher traurig als fröhlich. »Ich weiß genau, wie urlaubsreif ich nach diesem Urlaub sein werde. Felix, ich möchte diesen Ausdruck in diesem Haus nicht hören. Und diesen auch nicht.«
    »Mein schlechter Einfluss«, habe ich dann gesagt. »Siehst du, es ist gut, wenn ich hierbleibe.« Und habe dann gutes Wetter und angenehmen Flug und noch viel mehr gewünscht.

Ich renne jeden Tag zum Briefkasten. Eine Karte war bis jetzt noch nicht drin. Selbst wenn sie eine schicken – die Post wird ewig brauchen.
    Ich springe trotzdem auf, wenn ich das Fahrrad des Briefträgers durch das geöffnete Fenster höre.
    Ich habe tatsächlich einen Job. Den habe ich aber erst bekommen, nachdem ich Felix und Volker abgesagt habe. Ich gebe Nachhilfe. Ich habe drei Schüler, alles Jungs, in Französisch. Ich kriege fünf Euro schon extra dafür, dass ich zu ihnen nach Hause komme. Ich habe keine Lust, einen von ihnen an meinem Schreibtisch zu haben.
    Einer der Jungs, Kai-Julian, kann seine Vokabeln von Mal zu Mal schlechter. »Ich glaube«, flüstert mir seine Mutter im Flur zu, »dass er sich in dich verguckt hat. Er will vor der Nachhilfe immer eine saubere Hose anziehen.«
    Sie ist eine unmögliche Frau von der Sorte, die wahrscheinlich schon geschminkt und frisiert zur Welt kommt. Sie ist immer zu Hause, wenn ich komme, manchmal raucht sie, manchmal schreibt sie Einkaufslisten, manchmal lackiert sie ihre Fußnägel, und manchmal riecht sie an den Lilien in ihrem Garten.
    Während der Nachhilfestunde kommt sie fünf Mal rein – mit Tee, mit Keksen, um das Geschirr wieder abzuholen, um den Kaktus auf der Fensterbank zu gießen und um zu erzählen, was die Klassenlehrerin über Kai-Julian gesagt hat. Manchmal redet sie eine Viertelstunde – über Kai-Julian, der danebensitzt und dessen abstehende durchsichtige Ohren dabei immer greller leuchten. »Er ist so schlecht organisiert und kann sich überhaupt nicht konzentrieren«, sagt sie. »Ist dir das auch schon aufgefallen?«
    »Nein«, lüge ich.
    Aber mir ist es sowieso egal, solange ich mein Geld bekomme.
    Und ich übe jeden Tag mit Angela. Einfach so, umsonst. Ich habe gesehen, wie sie im Treppenhaus geheult hat, gegen die grüne Wand gedrückt, an der Stelle, wo »Sascha! Liebt! Anna!« steht. Sie hat eine Nachprüfung im Herbst, sonst muss sie die Klasse wiederholen, und sie ist schon einmal sitzen geblieben und sowieso ein Jahr später eingeschult worden. Sie hat geschluchzt, dass sie diese kleinen Scheißer in ihrer Klasse nicht ertragen kann, wenn die dann auch noch drei Jahre jünger sind als sie und alles besser können und ihr in den Ausschnitt glotzen – wie ätzend.
    »Wenn du willst«, habe ich zu ihr gesagt, wie sie sodasaß, mit verschmierter Mascara um die rot verheulten puppenblauen Augen, »kann ich dich auf die Nachprüfung vorbereiten.«
    Sie hat es zuerst gar nicht verstanden.
    »Wie – vorbereiten?« hat sie gefragt. Wir sprechen Russisch miteinander, aber ihres ist fast so schlecht wie ihr Deutsch. Ich finde es eh merkwürdig, in welchem Kauderwelsch die Leute hier manchmal

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