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scherbenpark

scherbenpark

Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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gut.«
    Und sie beugt sich wieder über die Bücher und hat dabei ein Gesicht, als müsste sie sich übergeben.
    Es ist merkwürdig, dass ich Grigorij nie in der Wohnung sehe.
    »Wo steckt dein Vater?« frage ich einmal. »Arbeitet er jetzt immer vormittags? Habe ihn lange nicht mehr gesehen.«
    »Er ist in seinem Zimmer«, sagt Angela.
    »Wieso, ist er krank?«
    »Er säuft«, sagt Angela leichthin. »Er säuft meistens die Nacht durch. Morgens schläft er wie ein Stein.«
    Mir wird ein bisschen kalt.
    »Ist das was Neues?« frage ich.
    »Was?«
    »Dass es bei ihm so heftig ist.«
    Angela zuckt mit den Schultern. »Kam auch schon vor«, sagt sie. »Immer wieder mal. Früher ganz selten. Nach drei Wochen war er meistens wieder glasklar und hat dann sechs Monate nicht mehr. War echt nicht der Rede wert. Jetzt geht es seit zwei Monaten so, mit immer wieder mal ein paar Ta gen Pause dazwischen.«
    »Ach du Scheiße«, sage ich. »Warum?«
    »Was weiß ich«, sagt Angela. »Vielleicht, weil eure dicke Alte ihn rausgeschmissen hat.«
    »Wie geht er dann zur Arbeit?« frage ich.
    »Wie soll er schon gehen? Auf allen vieren? Er ist rausgeflogen.«
    »Er war doch . . . na . . .«
    »Taxifahrer. Ein guter Job. Immer nachts unterwegs. Und ich hab hier sturmfreie Bude.«
    Ich schaue mich um und vergesse kurz die Mathematik.
    »Wer macht denn bei euch den ganzen Haushalt?« frage ich. »Ich dachte, er kocht und bügelt.«
    »Haushalt?« Angela sieht sich verständnislos um.
    »Ja, es ist doch aufgeräumt.«
    »Es ist nur bei mir im Zimmer aufgeräumt. Den Rest macht keiner. Ich habe keine Zeit. Ich muss lernen.«
    Ich lache.
    »Na und?« fragt Angela ärgerlich. »Es reicht, dass ich einkaufe und koche. Was soll ich sonst noch alles tun? Du hast es gut, eure dicke Alte macht doch alles für euch.«
    »Nenn sie nicht so«, sage ich automatisch. »Und sie ist gar nicht alt. Sie ist 37.«
    »Na und? Mein Vater ist 36, und er ist auch nicht jung.«
    »Wie?« rufe ich. »Ich dachte, er wäre mindestens fünfzig.«
    »Hör mal«, sagt Angela. »Bist du hier, um über meinen Vater zu reden?«
    Ich beuge mich über ein Blatt mit Gleichungen.
    Beim Hinausgehen sehe ich mich verstohlen um. Im Flur gibt es drei weitere Türen. Alle sind verschlossen. Hinter irgendeiner davon liegt Grigorij. Ich halte den Atem an, höre aber nichts. Ich kann es kaum glauben, dass er jeden Morgen hier lag und ich das nicht wusste. Ich dachte eher, er will mir aus dem Weg gehen. Jetzt fällt mir auch auf, dass sich in den Ecken der Staub zu Klumpen knäult, so groß wie Tischtennisbälle. Und dass an der Garderobe noch die Wintermäntel hängen.
    »Wo sind denn die leeren Flaschen?« frage ich.
    »Im Müll«, sagt Angela gereizt. »Was fragst du mich so aus? Soll ich die hier stehen lassen? Was bist du so neugierig? Man könnte denken, bei euch waren immer alle trocken.«
    »Waren sie ja auch«, sage ich zerstreut. »Selbst Vadim. Im Vergleich zu den anderen jedenfalls. Wie lange macht dein Vater noch so weiter?« frage ich. »Wann hört es denn auf?«
    Angela sieht mich nicht an, sie betrachtet sich im Spiegel. Sie ist ziemlich mollig, ungefähr doppelt so breit wie ich. Sie trägt Hotpants, die sich heftig in ihre helle Haut einschneiden, und ein Bikini-Oberteil mit Leopardenmuster.
    Mir fällt erstmals auf, dass sie ein Piercing im Bauchnabel hat – etwas Stählernes mit einem blauen Stein. Wenn sie sitzt, legt sich ihr Bauch so in Falten, dass man den Nabel nicht sieht.
    Und plötzlich denke ich, dass mir so ein Piercing besser stehen würde.
    »Ich denke, wenn er tot ist«, sagt Angela und dreht sich mit dem Hintern zum Spiegel.
    »Was meinst du?«
    »Du hast doch gefragt, wann es aufhört bei meinem Vater. Und ich sage – wenn er sich zu Tode gesoffen hat. Gehst du jetzt? Ich bin verabredet.«
    Ich gehe raus, meine Bücher unter dem Arm, und frage mich, warum sich schon wieder so ein diffuses Schuldgefühl in mir ausbreitet.

Und dann bin ich plötzlich einfach sehr gereizt.
    Vielleicht habe ich zu oft in den Briefkasten geschaut. Es ist immer noch nichts für mich drin, und auf einmal kann ich das nicht mehr einfach so hinnehmen.
    Niemals wollte ich auf so etwas warten – eine Karte, eine SMS, einen Rückruf. Ich bin doch nicht eines dieser blöden Hühner. Für mich bricht doch die Welt nicht zusammen, wenn sich so ein Arsch bei mir nicht meldet. Wenn er es nicht tut, ist er selber schuld. Oder die Post. Die braucht bestimmt Wochen. Und er schreibt

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