scherbenpark
Was fragen, genau. Ob du mit zur Sommermesse kommst heute Abend.« Er sagt das ganz schnell und sieht dabei an mir vorbei. Ich halte das für keine gute Taktik. Ich sehe ihn direkt an, und er scheint sich unter meinem Blick etwas unwohl zu fühlen.
»Und warum?« frage ich. »Warum wolltest du mich das fragen?«
»Nur so«, sagt er und sieht mich kurz an und schnell wieder weg.
Sommermesse, na klar, denke ich. Achterbahn und Zuckerwatte und Gruselkabinett. Was sonst. Ein Karussell, auf dem man nass gespritzt wird. Mit dem Kopf nach unten durch die Gegend geschleudert werden. Die Wette »Ich kotz doch nicht zuerst!« ganz knapp verlieren.
»Wie alt bist du?« frage ich.
»Vierundzwanzig.«
»Echt?«
»Ja, wieso?«
»Und was machst du, wenn du nicht gerade zur Sommermesse gehst?«
»Dann studiere ich.«
»Bauingenieurwesen?«
»Nee, das habe ich abgebrochen. Informatik.«
»An der Fachhochschule?«
»Ja, wieso?«
»Wo 113 Jungs sind und zwei Mädchen?«
»Fünf Mädchen. Wieso?«
Ich antworte nicht, ich überlege. Er ist nicht wirklich prickelnd. Aber mein Nebel ist es auch nicht.
Ich will hier raus, denke ich. Vielleicht ist die Sommermesse genau das Richtige.
»Wie heißt du eigentlich?« frage ich.
»Volker. Was ist? Was guckst du so?«
»Wirklich Volker?« frage ich gequält. Es kommt mir vor, als hätte jemand ein geheimes Passwort in meinen Gedanken gelesen und ihm verraten.
»Ja, warum?« sagt er.
»Kann nicht sein. Es gibt nicht viele in deinem Alter, die so heißen«, sage ich, wobei mir das Sprechen auf einmal schwerfällt.
»Soll ich dir meinen Ausweis zeigen?«
»Ja«, sage ich.
»Jetzt gleich?«
»Ja.«
Und er langt in seine Hosentasche und sucht und wühlt und findet nicht gleich und zeigt mir dann seinen Führerschein. Und das gibt den Ausschlag.
»Wir können uns heute Abend treffen«, sage ich. »Aber nicht auf der Sommermesse, sondern im Nordpark. Fährst du Inliner?«
»Ein bisschen«, murmelt er, ganz begeistert sieht er dabei nicht aus. »Nicht sehr gut.«
»Prima. Ich auch. So um acht am Eingang? Auf Inlinern?«
»Okay«, sagt er, und der Zweifel steht ihm ins Gesichtgeschrieben. Bestimmt bereut er es schon, dass er mich angesprochen hat. Vielleicht kommt er auch gar nicht.
Und wenn doch – dann bin ich heute Abend mit einem Volker unterwegs.
Er kommt aber. Und auf den ersten Blick ist klar, dass er erstens, so wie er sich am eisernen Tor festkrallt, ziemlich wackelig auf den Skates steht und zweitens nicht gerade von Vorfreude überwältigt ist.
Das ändert sich ein bisschen, als ich auf ihn zufahre und mich an ihm festhalte.
»Schönes Kleid«, sagt er und verliert dabei fast das Gleichgewicht.
Ich finde Kleider nicht schön, ich trage sie eigentlich nie. Aber manchmal sind sie eben praktisch, denke ich, sage aber nichts, weil er dann vermutlich vorzeitig von den Rollen kippt.
Wir drehen eine Runde durch den Park, dabei hält er meine Hand, nicht, weil es so schön ist, sondern damit er nicht umfällt. Es ist anstrengend, so zu fahren, die verschwitzten Handflächen kleben aneinander, und mein Arm wird steif, weil ich den Kerl gleichzeitig stabilisieren muss.
Wir tun alles, was dazugehört, wenn man sich zum ersten Mal verabredet, so ungefähr in der fünften Klasse. Wir reden nicht. Wir rollen zu einer Eisdiele, wo er in der Warteschlange meine Hand endlich loslässt, die ich dann genüsslich ausschüttle. Dabei gebe ich mir keine besondere Mühe, meine Erleichterung zu verbergen.
Wir essen Eis auf der Bank und zerkrümeln dieReste der Waffeln für die Tauben, und dann ziehe ich ihn wieder in den Park, in die Tiefen, wo vereinzelte Pärchen im Gras liegen. Jetzt ist seine Hand vom Eis noch klebriger. Ich würde mir so gern mal die Hände waschen.
Einmal stolpert er und zieht mich mit, und als wir uns beide wieder aufgerichtet haben, aneinandergeklammert, da küsst er mich, ziemlich überraschend. Ich schaffe es gerade noch, den Kaugummi auszuspucken. Danach sieht er sehr zufrieden aus, und ich bin auch froh, dass er Pfefferminzeis gegessen hat, der Geschmack erinnert mich an etwas Fernes und Schönes.
Ich denke, dass er jetzt so weit ist. Also ziehe ich ihn auf eine kleine Wiese, die noch frei ist, hinter die verblühten Fliederhecken. Und als ich mich ins Gras fallen lasse, bleibt er stehen und blickt unsicher um sich, als hätte er sich im dunklen Wald verirrt.
»Was ist?« frage ich. »Hast du Angst vor Zecken? Oder vor Grasmilben?«
»Nnnein«,
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