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scherbenpark

scherbenpark

Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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antwortet er, mir war vorhin gar nicht aufgefallen, dass er etwas stottert. Wahrscheinlich hat er es vorhin auch nicht getan.
    Ich gebe mir größte Mühe, nicht zu lachen.
    »Bist du wirklich schon 24?« frage ich.
    »Gerade geworden«, sagt er.
    »Hilfst du mir, die schweren Dinger auszuziehen?« frage ich.
    »Welche?«
    »Die Inliner.«
    »Ich versuche es«, sagt er und wischt sich den Schweiß von der Stirn. »Mann, ist das heiß hier.«
    Er kniet sich hin und gibt mir noch einen Kuss, dann müht er sich mit den Verschlüssen ab. Schließlich hält er meine Füße in den Händen und fragt: »Was lachst du schon wieder?«
    »Es kitzelt«, sage ich.
    Er lässt meine Füße los und legt sich neben mich. Pflückt einen Grashalm ab und beginnt, damit meine Arme abzufahren, von den Fingerspitzen über die Ellbogen über die Schultern bis zum Schlüsselbein. Ich frage mich, ob er sich das selber ausgedacht hat oder im Kino gesehen, ich bemühe mich ehrlich, ernst zu bleiben. Es kitzelt ohne Ende.
    Danach fährt er die gleiche Strecke mit dem Zeigefinger ab, beim Schlüsselbein ist wieder Endstation.
    Er sieht mir in die Augen, ich sehe weg, um nicht zu lachen, danach drehe ich mich wieder zu ihm, und wir knutschen ein wenig im weichen Gras, bis er sich wieder meinen Armen widmet.
    Es drängt mich zu fragen, ob alle Informatikstudenten so zurückhaltend sind, aber ich verkneife es mir.
    Ich drehe mich auf den Bauch und vergrabe das Gesicht im den Gänseblümchen, da spüre ich den Grashalm in meinen Kniekehlen. Er wandert hinunter zu den Füßen, als hätte dieser Kerl da niemals von den praktischen Aspekten eines Kleids gehört. Woher auch, denke ich, bei fünf Mädchen im Studiengang.
    Ich beginne zu ahnen, dass der Abend nicht den geplanten Verlauf nehmen könnte, wenn ich ihn nicht ein bisschen beschleunige. Nicht, dass es sehr schlimm ist, aber ich habe nicht ewig Zeit. Zu Hause habe ich gerade angefangen, Interviews mit dem US-ChirurgenRobert White zu lesen, der Köpfe transplantieren will. Bei Affen klappt es schon.
    Ich drehe mich auf die Seite, stütze mich auf den Ellbogen und sehe nachdenklich den Kerl an, der vor mir kniet, kurzes blondes Haar, blasses Gesicht, weiße Augenbrauen, und der dabei auf dem leidgeprüften Grashalm herumbeißt und unsicher blinzelt.
    »Was bist du für einer, Volker?« frage ich.
    Wie kann es nur so schwer sein, einen Namen auszusprechen, denke ich. Ist doch nur ein Wort. Das schmerzlichste Wort der Welt.
    Er runzelt die Stirn.
    »Meinst du – im wievielten Semester?«
    »Das auch«, sage ich. »Gefalle ich dir eigentlich nicht?«
    »Doch«, sagt er schnell. »Doch, sehr. Leg dich wieder hin.«
    Ich falle erwartungsvoll ins Gras zurück, sehe in den Himmel und spüre seine Hände wieder an meinen Armen, und wieder ist bei den Schultern Schluss.
    Ich reiße mich unwahrscheinlich zusammen, um nicht ständig zusammenzuzucken und zu kichern.
    »Du bist so dünn«, sagt er leise. »Wahnsinn. Das gefällt mir total. Wie machst du das?«
    Indem ich vergesse zu essen, denke ich verärgert. Nicht etwa, um dir zu gefallen, du verbranntes Bleichgesicht, du. Sondern weil ich meistens andere Dinge im Kopf habe. Mir fällt die magersüchtige Clara aus meiner Klasse ein, die ab und zu zwischen ihren Klinikaufenthalten nach Hause kommt, und Katharina, die auch im Hochsommer lange Ärmel trägt, weil siesich regelmäßig mit der Rasierklinge ihres Vaters die Arme aufschneidet, kreuzweise. Nicht, um sich umzubringen, sondern einfach so.
    Die langen Ärmel fallen dann in der Hitze und im Sportunterricht viel mehr auf als ein paar Schrammen auf der Haut. Sie wirken unheimlich, weil sie etwas verbergen, und wahrscheinlich weiß sie das am besten. Manchmal guckt sie so, als wäre sie stolz darauf.
    Mir fehlt für beides das Verständnis, für das Hungern ebenso wie für das Aufritzen. Ich meine, es ist idiotisch, seinen Zorn gegen sich selbst zu richten. Und unnötig sowieso. Es reicht schon, dass man den Mitmenschen dauernd als Zielscheibe dient.
    Jetzt muss ich plötzlich daran denken, dass das, was ich tue, auch nicht viel anders ist.
    Ich will aber nicht mittendrin aufhören. Wenn ich in diesem Moment aufstehe und nach Hause gehe, dann kann es passieren, dass ich bei uns im Badezimmer dann doch zur Rasierklinge greifen muss, probeweise. Es ist so ein Gefühl. Wenn Katharina es so oft macht, dann tut es vielleicht auch mir gut.
    Es wird kühler.
    »Sag mal«, sage ich ein bisschen gereizt. »Kann es

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