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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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doch nicht gleich am ersten Urlaubstag, der Mistkerl.
    Sascha wartet nicht.
    Doch, sie wartet.
    Ich beginne, mich dafür zu hassen. Und auch denjenigen, der mir da nicht schreibt. Ich weiß gar nicht, wen ich damit genau meine. Volker und Felix verschmelzen zu einer einzigen Person, die es gerade auf einer Insel schön hat, die aufs Meer blickt, sich den weißen Sand durch die Finger rieseln lässt, Kokosnüsse knackt, was weiß ich, und dabei, vor allem, überhaupt nicht an mich denkt.
    Ich beschließe, nicht mehr zum Briefkasten zu rennen. Und nicht mehr ans Telefon zu gehen, wenn sie zurück sind und mich anrufen. Falls sie überhaupt anrufen. Die können mich beide mal.
    Ich fahre mit dem Fahrrad in die Innenstadt, um meine Bücher in der Bibliothek zurückzugeben. Ich leihe mir ein paar neue aus und setze mich draußen auf die warme Stadtmauer. Hinter mir blühen dunkelrote Heckenrosen, und ich finde es frech, dass sie so schön blühen, wo es mir doch so elend geht.
    Ich bekomme nicht gleich mit, dass ich angesprochen werde. Ich bekomme so etwas grundsätzlich nicht gleich mit.
    »Hast du dein Hörgerät zu Hause vergessen?«, kommt dann von der Seite. Und ich sehe auf und kann es nicht vermeiden, darüber zu lächeln.
    Was ich sehe: blond, blauäugig, Sonnenbrand im Gesicht und an den Oberarmen. Männlich.
    Ich höre auf zu lächeln und sehe wieder in mein Buch.
    »Hallo! Dann spreche ich halt ein bisschen lauter.«
    Ich muss schon wieder lächeln.
    Dann sitzt er plötzlich ganz nah neben mir, und ich rücke ein bisschen weg.
    »Ganz schön heiß«, beklagt er sich bei mir.
    »Mmh.«
    »Die Mauer, meine ich. Verbrennen dir nicht die Beine in den kurzen Hosen?«
    Ich blicke auf meine Beine. Er ebenso, recht konzentriert.
    Ich sehe wieder ins Buch.
    »Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob wir uns kennen«, sagt er, den Blick immer noch gesenkt.
    Ich klappe das Buch zu.
    »Das frage ich mich auch«, gestehe ich.
    »So?« Er lächelt erfreut. »Haben wir uns schon irgendwo gesehen?«
    »Ich weiß nicht genau, ob du es warst«, sage ich. »Aber einmal ist mir in der Innenstadt die Fahrradkette runtergefallen. Ich habe mich hingehockt, um sie wieder zu richten, und plötzlich stand einer neben mir, hat mir Hilfe angeboten, und ich habe dankend abgelehnt, ihn dabei nicht angeschaut, aber dann plötzlich doch, und weißt du was?«
    »Was?«
    »Na ja, wie soll ich es sagen – er war ein Exhibitionist.«
    »Wie?« Sein Mund geht auf. »Hat er . . . seine Hose . . .?«
    »Ja.« Ich hebe mein Gesicht zur Sonne. Ich finde es lustig, wenn einer dann gleich so verlegen wird. »Er hat sich, um es vornehm auszudrücken, entblößt.«
    »Und der sah aus wie ich?« fragt der Typ ratlos.
    »Keine Ahnung«, sage ich. Das Beste ist, dass alles davon wahr ist: die Fahrradkette, die Innenstadt,der Rest. Und ich habe nur eine blaßblonde Erscheinung in Erinnerung, diesem da gar nicht unähnlich. »Ich habe sein Gesicht nicht so genau betrachtet«, sage ich.
    »Sondern?« fragt er humorlos.
    Ich zucke mit den Schultern. Mir würden an seiner Stelle tausend gute Antworten und Vorschläge einfallen, ich meine, wo er mich doch schon so vielsagend anstarrt, aber er sitzt bloß blöd herum und denkt über meine Worte nach. Oder über etwas ganz anders.
    »Also, ich war das nicht«, sagt er schließlich.
    »Schade«, sage ich, und er starrt mich verständnislos an.
    Woher soll er auch wissen, was ich gerade denke. Wie kann er ahnen, dass der graue Nebel, dem ich für kurze Zeit entkommen war, wieder da ist und mich ausfüllt von den Fußspitzen bis zum Haaransatz. Wahrscheinlich kommt er gleich aus meinem Mund heraus. Ich drücke die Lippen fester zusammen.
    Ich unternehme einen letzten verzweifelten Versuch, um da rauszukommen. Ich würde jetzt mit jedem gehen, der mich anspricht, und ich würde alles machen, je schlimmer, desto besser. Wenn ich mich wieder richtig ärgern kann, dann geht es mir schon besser.
    Das denke ich und betrachte den Kerl prüfend. Er sieht nicht unangenehm aus. Das Beste an ihm ist sein strahlend weißes T-Shirt, das offenbar frisch gebügelt ist. Ich würde gern herausfinden, ob es so angenehm riecht wie alle richtig sauberen Sachen. Er könnte fast nett wirken, wenn er nicht bloß so eine lange Leitung hätte.
    Aber es hat mich gerade kein anderer angesprochen, also nehme ich, was da ist.
    »Was wolltest du eigentlich?« frage ich.
    »Wie?«
    »Was wolltest du von mir? Mich etwas fragen?«
    »Wie? Ach so, ja.

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