scherbenpark
kann man nur so hinfallen?« fragt sie dreimal.
»Hab halt was getrunken«, sage ich knapp.
»Du?!«
Ich gehe ins Bad und schließe die Tür ab. Von dort wiederhole ich, dass, jajaja, alles schon desinfiziertworden ist. »Lass mich doch endlich in Ruhe«, sage ich, es ist kein Befehl, es ist ein Flehen. Duschen, denke ich, ist eine ziemlich schlechte Idee. Offenbar habe ich doch Nerven, die alle Schmerzen weiterleiten. Ich bestehe aus nichts anderem. Wenn ich keine Nerven hätte, wäre es jetzt ziemlich gut.
Da ich nur stehen oder liegen kann, lege ich mich ins Bett und lese die Interviews mit Robert White, während Maria alle halbe Stunde schwarzen Tee mit Milch bringt und gefüllte Teigtaschen. Die Teigtaschen bleiben mir im Hals stecken, aber den Tee trinke ich gierig, bis ich mich irgendwann wundere, dass er von Mal zu Mal süßer schmeckt.
»Tust du jedes Mal einen Löffel Zucker mehr rein, oder was?« frage ich ziemlich ruppig. »Jetzt sag schon. Ich werde nicht schimpfen.«
»Jedes Mal einen halben Löffel mehr«, sagt Maria, ängstlich in der Tür stehend, sie traut sich nicht, näher zu kommen. »Ich kann doch sonst gar nichts für dich tun.« Und versucht zu lächeln.
Dazu fällt mir nichts ein.
Am zweiten Tag geht es schlechter, ich muss eine Schmerztablette schlucken. Am dritten ist es wieder besser, viel besser. So gut, dass ich mich zu Maria in die Küche hocke und sie freundlich frage, wie es ihr so geht.
Sie sieht mich erschrocken an und sagt: »keine Ahnung. Wieso?«, und ich rege mich schon wieder über diese sinnige Antwort auf.
Dann lobe ich ihr Huhn in Walnusssoße, das sie heute Mittag fabriziert hat und das man auch kalt essen kann, beste Küche aus dem Kaukasus.
»Ich wünschte, ich könnte kochen«, lüge ich dann ohne rechte Inspiration vor mich hin, »aber ich glaube, ich werde es niemals lernen, Marina konnte es irgendwie auch nie richtig und hatte auch nie Lust dazu, und ich habe diese Unlust wahrscheinlich geerbt, na ja, ich habe andere Talente, andererseits, bringst du mir vielleicht was bei?«
In Marias Gesicht breitet sich Panik aus, sie sieht abwechselnd auf mich und auf den Salbei auf der Fensterbank, sie wird dabei Angela sehr ähnlich.
Ich sehe Maria an, wie sich die vielen kleinen Rädchen hinter ihrer Stirn hektisch drehen, beschäftigt mit der Frage, welche Falle ich ihr da wohl gerade aufstelle und welche Folgen das für sie haben wird.
»Ich dir was beibringen?« stottert sie dann hilflos in Richtung Salbei.
Aber ich höre ihr nicht mehr zu, weil mir gerade ein lustiger Gedanke kommt: Wenn Maria Angelas Stiefmutter geworden wäre, dann würde jeder, der ihre Vorgeschichte nicht kennt, sofort die Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter preisen, und beide würden sich deswegen am liebsten erschießen.
Das finde ich amüsant und muss lachen, und Maria ist gleich den Tränen nahe.
Ich erbarme mich und stehe auf und gehe spazieren und weiß, ohne hinzusehen, dass Maria hinter der Tür noch minutenlang den Kopf schüttelt und sich mit ihren Küchenkräutern über mich unterhält – ob sie vielleicht wüssten, was Sascha schon wieder hat?
Auf der Bank vor dem Hauseingang sitzt Oleg, der mit seiner Mutter im zweiten Stock wohnt, und auf seinem Schoß thront Alissa, und das gefällt mir überhaupt nicht.
Ich weiß nicht, wie alt Oleg ist. Seinen vierzigsten Geburtstag hat er aber wahrscheinlich schon hinter sich. Seit ich hier wohne, sitzt er täglich stundenlang auf der Bank, und was soll er auch sonst tun – seine Beine sind gelähmt. Als Kind ist er mal von einem Auto angefahren worden. Keine Ahnung, woher ich das weiß, das gehört hier zur Allgemeinbildung. Er ist rothaarig, seine Augen sind rostig braun, und dabei sieht er ganz anders aus als Felix. Vielleicht liegt es daran, dass Felix' Gesicht nicht mit ungleichmäßigen Stoppeln unterschiedlicher Rottöne bewachsen ist.
Ich komme näher und sehe, dass viel Grau dazugekommen ist, seit ich ihn das letzte Mal so betrachtet habe.
Neben Oleg liegt immer ein Schachbrett. Früher türmten sich aufgeschlagene Zeitschriften mit den Schachaufgaben daneben. Im letzten Jahr wurden sie von den Ausdrucken aus dem Internet abgelöst. Wahrscheinlich ist das Netz auch der Grund, warum Oleg in der letzten Zeit etwas seltener draußen ist. Wenn Oleg allein auf seiner Bank ist, dann verschiebt er Schachfiguren, und wenn jemand neben ihm sitzt, dann erzählt er den Inhalt der Bücher nach, die er vor Kurzem gelesen
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