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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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beglaubigte Übersetzungen, ich werfe alles achtlos auf den Boden, ich weiß, nach wem das alles riecht.
    Ganz unten liegen Fotos. Vier Fotos.
    Ein großes. Eine rothaarige Frau in einer Art Tunika, die Arme ausgebreitet und die Augen geschlossen. Auf der Bühne im Scheinwerferlicht.
    Ich drehte das Foto um und lese auf der Rückseite in großen, ungleichmäßigen Buchstaben: Meine Frau Marina in ihrem Theater.
    Noch ein großes Foto. Ein blonder Junge mit einer Schultüte, hinter der er sich zu verstecken versucht, die Augen gehetzt.
    Auf der Rückseite: Mein Sohn Anton kommt in die Schule.
    Ein etwas kleineres Foto. Ein fröhliches Baby im Hochstuhl vor einem Teller, in den es mit beiden Händen greift.
    Rückseite: Meine Tochter Alissa versucht zu essen.
    Und ein noch kleineres. Darauf ein dunkelhaariges Mädchen auf einer Bank, die Beine auf den Sitz hochgezogen, im Hintergrund der Solitär, auf den Knien, umgedreht, ein aufgeschlagenes Buch.
    Es kommt mir sehr bekannt vor, aber ich habe Mühe, es zu erkennen. Ich verstehe nicht, was dieses Foto hier zu suchen hat.
    Hinter meinem Rücken ist es ganz still.
    Nein, nicht ganz.
    Marias Atem geht ganz schwer. Irgendjemand bewegt seine Füße. Ein anderer muss plötzlich husten.
    »Gesundheit«, sagt Alissa laut.
    Ich drehe das letzte Foto um und brauche sehr lange, um zu lesen, was auf der Rückseite steht.
    Obwohl es nur ein Wort ist: Sascha.
    Ich lege die Fotos zurück, häufe die Zeitungsausschnitte unordentlich darauf und schließe die Mappe.
    »Maria«, sage ich. »Heidelbeerkuchen. Jetzt.«

Es fällt niemandem auf, dass ich aufstehe und ganz leise in mein Zimmer gehe und die Tür hinter mir schließe.
    Ich setze mich rittlings auf den Stuhl und nehme das gerahmte Foto von meinem Schreibtisch in die Hände. Wenn ich die Augen fast ganz schließe und den Kopf sachte drehe, dann sieht es so aus, als würden sich die Gesichter auf dem Foto bewegen. Den gleichen Effekt gibt es bei häufigem Blinzeln.
    Hallo, du, und du natürlich auch, Harry, sage ich. Wir haben uns lange nicht mehr gesprochen. Ich hoffe, du bist nicht sauer, dass ich dich nicht ins Krankenhaus mitgenommen habe. Dort war ich ganz allein. Ich habe fast gar nicht an dich gedacht. Nur einmal, und da war ich froh, dass du das alles nicht mehr sehen konntest. Oder konntest du?
    Außerdem habe ich gedacht, wie gut es ist, dass ihr zu zweit seid. Wo auch immer. Ich werde wahrscheinlich immer allein sein.
    Ich glaube nicht an den Himmel und auch nicht an die Hölle. Aber ich weiß, dass wir uns wiedersehen werden. In den letzten Monaten gab es ein paar Momente, da dachte ich, es steht unmittelbar bevor.
    Hast du übrigens schon mitgekriegt, dass Vadim nachgekommen ist? Ich hoffe, er lässt euch in Ruhe. Vielleicht kann ihm da drüben jemand mal beibringen, wie man sich benimmt. Oder er ist dort eh so klein und ihr so groß, dass ihr aufpassen müsst, dass ihr nicht auf ihn tretet.
    Was für eine feige, miese Art, einfach mal den kürzesten Weg zu euch zu nehmen, findet ihr das nicht auch?
    Mein Problem ist, dass ich mich nicht mehr darüber ärgern kann. Die Luft ist raus. Tut mir leid, aber du wirst es verstehen. Ist einfach so.
    Unsere Wohnung ist gerade voll mit Menschen, die essen, reden und lachen. Es sind zwei neue dabei, die ich niemals hier haben wollte, aber sie sind trotzdem gekommen. Und es sieht so aus, als wären sie gerade gern hier. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht das letzte Mal sein wird.
    Natürlich weine ich nicht, ich habe bloß was im Auge.
    Anton zeigt Felix gerade seinen Gameboy, und ichglaube, sie verstehen sich wirklich. Felix würde sich nicht so gut verstellen können. Er genießt es, angehimmelt zu werden, und Anton ist sowieso hin und weg – so ein großer Junge beschäftigt sich gerade mit ihm!
    Alissa zeigt Volker, wie man seinen Namen kyrillisch buchstabiert. Er ist beeindruckt, dass sie so schlau ist. Sie ist auch extrem süß und frech, und wahrscheinlich ist er einer dieser Männer, die schon immer eine kleine Tochter wollten und sie nie bekommen haben. Es ist richtig idyllisch, und alles riecht nach Zimt. Außerdem streut Maria immer Vanillezucker in die Schlagsahne, und deswegen riecht auch alles nach Vanille.
    Ich habe hier nichts mehr zu tun. Ich habe das Gefühl, sie kommen jetzt auch ohne mich zurecht.
    Du hast mir mal erzählt, dass auch du an deinem zweiten Tag in der ersten Klasse einfach aufgestanden und gegangen bist, weil es für dich nicht mehr

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