scherbenpark
Tür. »Aber das stimmt nicht. Das ist Dreck. Hier hat sie nie gelegen. Sie ist in der Wohnung verblutet.«
Felix macht ein gurgelndes Geräusch.
»Hallo, Maria«, sage ich. »Bitte keine Umarmungen. Ich bin noch ganz schwach. Das ist Volker. Das ist Felix. Das ist Maria.«
Maria ist ganz verlegen, als sie zwei Hände nacheinander schüttelt.
»Wir haben telefoniert«, sagt sie auf Deutsch, und ich sehe erstaunt auf. »Alissa!« sagt sie auf Russisch. »Du sollst nicht auf Sascha springen, Sascha ist noch ganz krank!«
»Ui«, sagt Alissa, als ich vor ihr auf die Knie gehe, damit sie meinen Kopf betrachten kann. »Ist ja wieder ganz! Und gar nicht rot! Wann haben sie das Blut abgewaschen?«
»Sofort«, sage ich. »Oder was dachtest du?«
»Und hast du jetzt neues Blut?«
»Ja«, sage ich. »So ungefähr fünf Liter. Wie fünf Packungen Milch. Anton, komm her. Keine Angst. Sieh mal, mein Kopf sieht gar nicht so schlimm aus.«
»Doch«, sagt Anton, der in der Tür des Kinderzimmers steht und sich an ihr festhält. »Sieht schlimm aus.«
»Mein kleiner Bruder Anton«, sage ich zu Felix und Volker. »Er ist etwas schüchtern.«
»Tokio Hotel«, liest Volker die Aufschrift auf Antons T-Shirt. »Ich liebe Tokio Hotel.«
Felix blickt peinlich berührt zur Seite.
»Tee«, sagt Maria auf Deutsch. »Und Heidelbeerkuchen.«
»Später, Maria«,sage ich.»Später Heidelbeerkuchen.«
»Aber später ist er nicht mehr warm«, sagt sie würdevoll. »Sondern ganz kalt!«
»Wie, bei der Hitze?« wundere ich mich. »Und das ist übrigens mein Zimmer.«
»Ist das dein Computer?« fragt Felix. »Was ist denn das, ein externes Modem?«
»Ich will nichts über meinen Computer hören«, sage ich.
»Ich sage ja auch nichts«, sagt Felix.
»Was hast du für einen?« fragt ihn Anton ganz leise.
»Einen viel geileren«, sagt Felix. »Na ja, etwas. Kann ich dir mal zeigen. Wer ist das?«
»Das ist meine Mutter«, sage ich. »Und das ist Harry. Er ist mit ihr zusammen gestorben. Das ist das letzte Bild von den beiden, das habe ich aufgenommen auf unserem Balkon mit Harrys neuer Digitalkamera. Siehst du, Felix, es ist ziemlich gefährlich, sich mit russischen Frauen einzulassen. Lebensgefährlich sogar.«
»Du warst aber noch nie verheiratet«, sagt Felix.
»Woher willst du das wissen?« frage ich. »Was weißt du überhaupt über mich? Hast du eine Ahnung davon, wie schlimm ich eigentlich bin? Und jetzt geht mal hierraus, hier ist es eng. Das ist das Wohnzimmer. Das sind die Bücher meiner Mutter.«
»Wer hat hier diesen ganzen Chagall aufgehängt?« fragt Volker.
»Sie«, sage ich. »Alles sie. Sie hat ihn geliebt.«
»Komische Bilder«, sagt Felix. »Ich will nicht sagen, dass sie hässlich sind. Sie sind bloß komisch. Warum fliegen die Leute so?«
»Weil sie träumen«, sagt Alissa irgendwo unter seinem Ellbogen.
»Ah«, sagt Felix. »Für dich hatten wir doch ein Geschenk dabei. Volker, wo isses? Für die ganz Kleine?«
»Ich bin nicht klein«, sagt Alissa. »Ich bin fast vier.«
»Und was ist das?« frage ich und bleibe stehen und kneife die Augen zusammen.
»Das nennt man Blumen, würde ich behaupten«, sagt Felix. »In einer Vase. So ein Schlag auf den Kopf wirkt sich noch lange aus, kann es sein?«
»Felix!« sagt Volker, und es klingt richtig wütend.
»Nein«, sage ich. »Nicht das. Das daneben.«
Diesmal kommt das gurgelnde Geräusch von Maria, und Volker sieht besorgt zu ihr rüber.
»Was ist das?« wiederhole ich und stehe vor dem Tisch, wo neben der Vase mit den drei Sonnenblumen merkwürdige Gegenstände liegen, irgendwas im Plastikbeutel, was nach einem Rasierpinsel aussieht und in mir unruhige Erinnerungen weckt, ein Heft, Stifte, eine Ledermappe.
»Sascha«, sagt Maria schwach. »Sascha, jetzt lieber nicht . . . Nicht gleich weggeräumt . . . Was bin ich doch bescheuert . . .«
Ich schiebe erst Maria und dann die Stifte beiseite und öffne das Heft. Lose Blätter fallen heraus, Dutzende davon, vollgeschrieben mit niedriger fahriger Schrift, sie gleiten durch meine Finger und verströmen einen merkwürdigen Geruch, von dem mir gleich übel wird.
Felix sammelt die Blätter vom Boden auf, betrachtet sie irritiert und reicht sie an Volker weiter.
Ich strecke die Hand aus und öffne die Ledermappe.
Zeitungsausschnitte fallen heraus, ich kenne sie alle, dazu zerfranste Dokumente, die ich noch nie gesehen habe, eine russische Geburtsurkunde, ein altes Gewerkschaftsbuch, ein Waffenschein,
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