Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
scherbenpark

scherbenpark

Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
Vom Netzwerk:
warum sie sich das alles anhört und sich nie wehrt.
    »Seit wann weißt du davon?« frage ich müde. »Gestern warst du doch noch nicht schwanger.«
    »Seit heute«, sagt sie.
    »Wo ist der Test? Lass mich draufgucken, du hast vielleicht was missverstanden.«
    »Ich habe keinen Test gemacht.«
    »Sondern?«
    »Ich hab gekotzt. Mir war so furchtbar schlecht.«
    »Ist dir das nicht immer, wenn du am Vorabend so viel gesoffen hast?«
    »Doch«, lächelt Angela. »Aber heute war es anders.«
    »Wie denn?«
    »Es war anders schlecht. Es war irgendwie schön schlecht. Ich habe gar nicht mehr aufhören können zu kotzen. Und danach war mir immer noch so übel. Übrigens haben wir Kondome benutzt. Fast immer. Bis vor drei Tagen, eigentlich. Da war der Automat leer. So eine Scheiße.«
    »Bis vor drei Tagen?« frage ich verständnislos.
    »Ja.«
    »Und du meinst, du bist davon . . .«
    ». . . natürlich davon, die Nächte vorher war der Automat ja noch voll.«
    »O Mann«, sage ich. »Du gehörst in den Zoo, Angela. Vor drei Tagen kannst du doch noch gar nicht schwanger geworden sein.«
    »Warum nicht?« fragt sie ratlos. »Und ob ich das kann.«
    »Aber du würdest es noch gar nicht merken. Dein sogenanntes Kind wäre noch als Zelle in deinem Eileiter unterwegs. Es wäre noch gar nicht angedockt. Du würdest es noch gar nicht mitkriegen. Was hast du gestern gegessen?«
    »Keine Ahnung«, sagt Angela. »Alles Mögliche. Konserven. Irgendwas in Tomatensauce.«
    Ich rapple mich wieder auf. Ich traue mich nicht zu fragen, ob sie etwas von Vadim gehört hat.
    Ihre Probleme möchte ich haben, denke ich. Nein, möchte ich nicht.
    »Woher weißt du das?« fragt Angela misstrauisch und sieht zu, wie ich zur Tür gehe. »Dass es noch nicht angedockt ist? Dass ich nicht schwanger sein kann? Und ob ich das kann.«
    »Du kannst dir die Pille danach geben lassen«, sage ich. »Wenn du unsicher bist. Aber am besten noch heute. Damit es sich nicht einnistet. Falls Murat einen Treffer hatte.«
    »Wie, nicht einnistet?« fragt Angela erschrocken. »Ich will aber nicht.«
    »Was willst du nicht?«
    »Ich will nicht, dass es sich nicht einnistet.«
    »Du willst also ein Kind?« frage ich ratlos. »Du?«
    »Kein Kind«, sagt Angela. »Sondern ein Baby.«
    »Dann«, sage ich, »klappt es vielleicht irgendwann.
    Die brauchen doch ewig, um diese Automaten nachzufüllen.«
    Ich knalle mit der Tür.
    Unsere Wohnungstür steht halb offen. Ich gehe rein und sehe die Zeitung auf dem Boden liegen. Daneben das Telefon. Ich knie mich wieder hin.
    Es steht immer noch da. Vadim E. ist tot.
    Und es ist nicht Sascha N., die ihn umgebracht hat.
    Und da beginne ich zu schreien.
    Ich schreie wie an dem Abend vor über zwei Jahren. So, dass die Fenster klirren. So, dass im Treppenhaus Schritte hallen. So, dass aufgeregte Stimmen sich miteinander vermischen. So, dass jemand laut überlegt, ob die Polizei zu rufen ist, weil hier schon wieder jemand umgebracht wird.
    Aber es wird keiner umgebracht. Er ist schon tot, er hat es selbst gemacht, und keiner hat mich gewarnt, dass ich zu spät sein könnte.
    Ich stürze aus der Wohnung. Es stehen schon ein paar Leute da im Flur. Sie weichen zurück und stecken ihre Köpfe zusammen. Ich laufe an ihnen vorbei, sehe nicht in ihre Gesichter. Gesichter interessieren mich nicht. Sie wollen alle nur das eine, sich an dem, was sich bei uns abspielt, so richtig aufgeilen. Dann Freunde anrufen und ihnen davon erzählen, und die dann ihre anderen Freunde anrufen.
    Und dann gibt es einen heiseren Aufschrei, ein schwerer Gegenstand fällt um, und ich zucke zusammen und sehe hoch, es kommt nämlich von oben, und mein erster Gedanke ist: War ich das jetzt schon wieder?
    Durch die erstarrte Gruppe meiner Zuschauer gehtebenfalls ein leichtes Beben, wie ein Windstoß durchs Getreidefeld. Alle Gesichter drehen sich nach oben, es hört sich an, als würde gerade etwas die Treppe runterfallen. Oder jemand.
    Ich halte mich am Geländer fest und warte, bis ich Grigorij vor mir sehe, ganz nah und verdreht. Er fällt auf mich, und automatisch mache ich einen Schritt zur Seite, denn ich möchte nicht unter ihm begraben werden. Das Geräusch, mit dem er am Treppenende aufschlägt, ist sehr hässlich und stumpf.
    Sofort versammeln sich alle mit vielen Achs und Ohs um ihn, einer kippt Eiswürfel in Grigorijs Gesicht, ein anderer flößt ihm Durchsichtiges aus einer kleinen Flasche ein, und ein Dritter schnürt ihm merkwürdigerweise die Schuhe auf.

Weitere Kostenlose Bücher