Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
Kathi gab eine Fahndung nach Vroni heraus. Sicher würde Vroni auf den Waldwegen noch weitere Spuren hinterlassen, ewig würde sie aber nicht untertauchen können.
Sie fuhren in die Inspektion. Åse und Runa redeten leise auf Norwegisch. Irmi ließ ihnen Kaffee bringen. Dann entschuldigte sie sich kurz. Sie musste umgehend mit der Staatsanwaltschaft telefonieren, um deren Zustimmung für ihr weiteres Vorgehen einzuholen.
14
»Jetzt muss uns Anna Maria endlich die Wahrheit sagen. Das kann sie doch nicht gewollt haben! Nicht noch einen inszenierten Unfall!«, sagte Irmi.
»Ein Silounfall, ein Unfall im Forst – ganz schön viele Unfälle. Damit wären die doch nie durchgekommen, oder!«
»Wer weiß? Wenn wir nicht durch Zufall erfahren hätten, dass die Schafe rausgetrieben worden sind, wären wir nicht auf Anna Maria verfallen. Dann wäre der zweite Unfall vielleicht auch ungesühnt geblieben.«
»Wahnsinn!«, rief Kathi.
Als Irmi Åse und Runa erklärte, was sie in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft vorhatte, waren sich beide einig, dass sie das durchstehen würden.
Wenig später betraten sie den Raum, in dem Anna Maria untergebracht war. Draußen war es dunkel geworden. Anna Maria versuchte trotzig zu wirken, aber es war nicht zu übersehen, dass sie geweint hatte.
»Darf ich vorstellen? Das hier ist Runa Dalby, Studentin der Kunstgeschichte, und zwar die echte Runa. Ihr habt Marit getötet – ein dummer Fehler! Die beiden Damen hier wären beinahe unter einen Baum geraten und hätten dort ein unrühmliches Ende gefunden. Eine gewisse Schicksalhaftigkeit, meinen Sie nicht, Anna Maria? Von einem Baum erschlagen in jenem Forst, den Åse erben soll. War das beabsichtigt? Wer hat das Bäumchen gefällt?«
Anna Marias Schultern bebten. Sie weinte und weinte. Irmi atmete durch. Mit Sarkasmus kam sie hier auch nicht weiter.
»Sie waren nicht dabei. Das ist klar. Aber Vroni war dabei und noch jemand. Sie sind eine kluge junge Frau, Anna Maria. Und wenn die Geschichte mit dem Brand stimmt, die Sie ja so beharrlich erzählen, dann hätten Sie jetzt die letzte Chance auf die volle Wahrheit. Runa hat ein Recht darauf. Ihre beste Freundin ist in eurem Silo gestorben!« Irmi hoffte, dass Runa durchhalten und dass ihr Anblick Anna Maria endlich erweichen würde.
»Außer meiner Oma hatte ich nur Marit.« Runas Stimme machte einen kleinen Stolperer, aber sie fasste sich wieder. »Jetzt ist Marit tot. Meine Eltern sind eine Katastrophe. Du hast wenigstens eine Familie. Warum ist es so schlimm, wenn meine Oma diesen Wald bekommt? Und lumpige fünfzigtausend Euro. Lumpig, so sagt man doch auf Deutsch, oder? Warum habt ihr das getan? Was ist passiert? Anna Maria, du siehst nicht so aus, als wäre dir das egal. Vroni sieht auch nicht so aus. Bitte rede mit mir!«
Plötzlich war es so, als wären nur noch Anna Maria und Runa im Raum. Zwei Frauen, die fast gleichaltrig waren und noch so viel Leben vor sich hatten. Die eine vom kühlen Rand der Welt, die andere aus dem weiten Ammertal, in dem doch so viele Scheuklappen getragen wurden.
Anna Maria weinte immer lauter. Sie stammelte nur noch: »Es tut mir leid, Runa, es tut mir so leid. Ich wollte das nicht. Niemand wollte das.« Sie bekam einen Hustenanfall, ihr ganzer Körper bebte.
Kathi brachte Runa und Åse hinaus. Es dauerte lange, bis Anna Maria sich einigermaßen unter Kontrolle hatte. Irmi gab ihr Wasser und nötigte sie, in kleinen Schlucken zu trinken. Dann reichte sie ihr Papiertaschentücher. »Reden Sie jetzt mit mir?«
Anna Maria nickte und begann.
Der Opa hatte tatsächlich an seinem Testament geschrieben und es anschließend in ein Kuvert gesteckt. Anna Maria wusste zwar, dass er einen Safe besaß, allerdings nicht, wo dieser sich befand. Ihr kam zupass, dass der Opa mit dem Kuvert in der Hand einschlief. Es fiel zu Boden, und Anna Maria konnte ihre Neugier nicht bezähmen. Bei der Lektüre des Dokuments fiel sie aus allen Wolken. Sie notierte sich schnell Namen und Adresse der Begünstigten, tat alles wieder zurück und legte das Kuvert an die Stelle auf den Boden, wo es dem Opa aus der Hand gerutscht war. Später hatte sie ihren Großvater noch beobachtet, wie er den Umschlag aufhob und in den Stall ging.
»Ich kam mir so schäbig vor, aber ich wollte doch wissen, wer diese Frau ist, die so viel erben wird.«
Anna Maria hatte Vroni zurate gezogen, denn die beiden waren sehr vertraut.
»Vroni kommt immer zu mir, wenn sie Sorgen hat. Wegen Thomas,
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