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Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Titel: Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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sphärisch, die Sonne würde gleich über die Fjordkante kommen. Der Himmel zauberte. Aksel umfuhr Buchten, deren Wasser heute Morgen fast schwarz wirkte. Silberkronen tanzten auf den Wellen, und der Sand an den Stränden färbte sich langsam golden. Sie befanden sich auf dem neunundsechzigsten nördlichen Breitengrad, es waren drei Grad minus, und dennoch hatte sie den Eindruck, an karibischen Gestaden zu sein. Nur der Puderzuckerschnee störte.
    Schließlich erreichten sie Hjemmeluft, wo das Freilichtmuseum lag.
    »Die Felszeichnungen von Alta wurden ab 1960 entdeckt«, erzählte Aksel, »und zwar bislang an fünfundvierzig verschiedenen Orten. Ich würde euch empfehlen, erst die Ausstellung zu besuchen und dann hinauszugehen. Ich möchte euch gar nicht mit meinen Reden stören, das erklärt sich alles von selbst.«
    Die Ausstellung im Museum informierte über die Kunst der Felszeichnungen, die seit 1985 UNESCO -Weltkulturerbe waren und vor bis zu siebentausend Jahren in den Fels geritzt worden waren. Jäger- und Fischerfamilien hatten ihre Lebenswirklichkeit in den Fels gebannt, aber auch ihre Mythen und ihre Rituale. Irmi überflog die Erklärungen zum Leben der Sami, in deren Religion die Natur eine Seele hat. Dann ging sie hinaus an die kühle klare Luft und schlenderte an Zeichnungen von Fischern mit Booten und ganzen Rentierherden vorbei, die in einem Gehege gefangen waren. Schon vor Tausenden von Jahren hatten hier Menschen gelebt, gejagt, Kinder gezeugt, geliebt … Diese Bilder waren von einer solchen Einfachheit und Schönheit, dass sie sich tief in Irmis Herz eingruben. Natürlich hatte die Natur eine Seele.
    Jens war neben sie getreten. »Wir sind Dummköpfe, wenn wir glauben, dass wir wichtig sind. Wir sind nur einen Wimpernschlag lang Gast auf dieser Welt. Wir sollten etwas draus machen.«
    »Jens, es tut mir leid. Ich bin momentan einfach unerträglich.«
    »Nein, du bist immer so, wenn es um einen Fall geht, der kurz vor der Aufklärung steht. Du musst dich darauf konzentrieren. Da hast du keinen Platz für etwas anderes. Nimm dir den Raum dafür. Ich kann warten.«
    Irmi war eine Weile sprachlos. Dann flüsterte sie: »Ach, Jens, was täte ich ohne dich?«
    »Dasselbe wie jetzt, bloß ohne diese Nervensäge, die überall und nirgendwo zu Hause ist. Schau dir diese Zeichnungen an. Die Menschen hatten klare Ziele. Ihr Leben verlief mit den Jahreszeiten und entlang geregelter Bahnen. Sie lasen in den Sternen, sie verehrten Naturgötter. Sie lebten in Zelten, in denen bestimmte Ecken einem guten oder auch einem fordernden Geist zugeordnet waren. Sie nutzten alle Teile ihrer Beute. Sie lebten von und mit den Rentieren. Sie waren achtsam, und ich denke, wir sollten das auch wieder sein.«
    Irmi nahm seine Hand. Dann küsste sie ihn. Er hatte sie unterm Nordlicht küssen wollen, doch auch der blaue Morgen war eine gute Tageszeit für Küsse. Irmi fühlte sich so klein, so demütig. Sie hatte diesen großartigen Mann gar nicht verdient. Hand in Hand gingen sie zurück.
    Als sie wieder im Museumsgebäude ankamen, waren anderthalb Stunden vergangen. Aksel trank Kaffee und plauderte mit einer Frau, die er als seine Cousine vorstellte. Es gab für alle einen Kaffee und einen Schokoriegel. Dann brachen sie auf in Richtung Krankenhaus. Runas Eltern waren soeben angekommen.
    Wieder eilten sie den Gang entlang, und wieder warf sich ihnen die resolute Ärztin in den Weg und forderte, die Eltern erst mal mit Runa allein zu lassen. Das verstand sogar Irmi.
    »Entschuldige«, sagte sie in Irmis Richtung und in fast akzentfreiem Deutsch. »Aksel kennt kein Maß, weder beim Kaffee noch bei seinen Ermittlungen. Ich hab mich gestern übrigens gar nicht vorgestellt. Berit, Aksels Frau.« Sie lachte, und Aksel schnitt eine Grimasse.
    »Könnte meine gestrenge Frau uns einen Raum zur Verfügung stellen, in dem wir später mit den Dalbys reden dürfen?«, fragte er.
    »Mein Büro. Das kennst du ja. Ich muss weiter.« Sie lächelte Irmi an und sauste davon.
    »Von wegen, ich kenne kein Maß«, murmelte Aksel, aber so wie er seiner Frau nachsah, lagen darin die Liebe und die Vertrautheit vieler Jahre. »Sie ist leitende Oberärztin. Mehr muss ich wohl nicht sagen.«
    Als sie in Runas Zimmer traten, saß diese mit ihrem Vater, der ihre Hand hielt, auf dem Bett. Henrik sah aus wie ein typischer Naturwissenschaftler: bärtig, braun gebrannt, ein schmaler, sehniger Typ, dessen kleine runde Brille sicher viele Jahre und

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