Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
Liebespaar.« Sie zögerte. »Mich hat sie auch nie geliebt. Sie war nie wie eine Mutter. Eher wie eine große Schwester. Keine besonders nette Schwester.«
Es war erstaunlich, wie klar Runa das alles analysierte. Bestimmt war sie früher als andere Gleichaltrige erwachsen geworden. Kein Wunder, wenn die Eltern weit Abenteuerlicheres zu tun gehabt hatten, als ein Kind zu erziehen. Sie liebten ihre Freiheit und die Exotik, wie wäre da Platz für ein Kind in der Enge von Alta gewesen? Runa tat Irmi unendlich leid. Nun hatte sie auch noch ihre einzige wirkliche Freundin verloren. Wenigstens war ihr die Großmutter geblieben.
»Sag mal, Runa, habt ihr deine Oma denn auch mit euren Entdeckungen konfrontiert?«
»Nein, ich wollte das auf keinen Fall am Telefon tun. Und ich wollte auch erst die Reaktion meiner Mutter abwarten. Sie hat mich nicht nur beschimpft, sondern mir auch verboten, Oma etwas davon zu sagen.«
»Das heißt aber, deine Mutter wusste, dass ihre eigene Mutter das Kind eines Besatzungssoldaten war?«
»Davon bin ich überzeugt. Sie hatte ja über all die Jahre diese Briefe bei sich gehortet. Aber meine Mutter glaubt eben, dass man einen Deckel nur schließen und den Schlüssel kräftig genug umdrehen muss. Dann werden schon keine Geister mehr herausschlüpfen.«
Runa war beängstigend blass. Einen Moment schwiegen alle, bis die junge Frau leise weitersprach.
»Marit hat vermutet, dass meine Mutter diese Briefe irgendwann bei Oma gefunden und dann bei sich versteckt hat. Auch Marit hat befürchtet, dass das Ganze ein ganz großer Schock für die Oma sein könne, weil sie es doch sicher längst ad acta gelegt hätte. Marit hielt meine Mutter für eine herzlose Kuh. Stimmt ja auch. Marit weiß, wie es ist, wenn man keine Familie hat. Wenn man nicht weiß, wo man herkommt und wo man hingehört. Mir geht es ja so ähnlich. Manchmal habe ich auch das Gefühl, keine richtige Familie zu haben. Marit war davon überzeugt, dass es mir guttun würde, nach Bayern zu reisen und die Wurzeln meiner Familie zu finden.«
Runa weinte wieder stärker, und Aksel holte ihr ein Glas Wasser. Es verging viel Zeit, bis sie sich beruhigt hatte.
»Doch dann ist Marit gefahren. Warum?«, fragte Irmi vorsichtig.
»Ich habe zu ihr gesagt, dass ich das nicht packe. Hätte ja auch sein können, dass das ganz böse Menschen sind, da in Bayern. Ich hätte das nie geschafft, inkognito zu reisen. Nie! Und irgendwann einmal hatte Marit die Idee, dass dann eben sie fährt. Mal vorsondiert, was das für Leute sind. Ob der Uropa überhaupt noch mit mir reden kann.«
»Und ihr habt wirklich die Identität getauscht?«, fragte Irmi immer noch fassungslos.
»Ja, Marit hat meinen Lebenslauf auswendig gelernt und meinen Pass mitgenommen. Wir haben sogar die E -Mail-Accounts getauscht. Alles sollte perfekt sein. Ich meine, wir sehen uns ja ziemlich ähnlich, und so genau schaut am Flughafen keiner hin. Und dann kann Marit auch viel besser Deutsch als ich.«
»Aber warum ist sie denn nicht als Marit gefahren?«, fragte Aksel. »Das wäre doch viel unauffälliger gewesen?«
Runa hantierte mit ihrem Taschentuch herum und flüsterte: »Jetzt im Nachhinein kommt mir das auch dumm vor. Aber Marit dachte, sie könnte die Leute in Bayern so eher aus der Reserve locken. Wenn sie als Marit umständlich hätte erklären müssen, dass sie eine Freundin hat, die einen Großvater … Verstehst du? Es war ihre Idee. Marit ging immer solche Wege. Ist sie wirklich tot?«
Sie wurde von einem neuen Weinkrampf geschüttelt, bis die Ärztin, mit der Aksel vorhin gesprochen hatte, hereingerannt kam und die Kommissare aus dem Zimmer jagte.
Draußen sanken Irmi und Aksel auf zwei Plastikstühle. Erschöpft. Leer.
»Das ist ein Wahnsinn. Ich hab das Gefühl, als würde ich mitten in einem schlechten Film stehen«, sagte Aksel schließlich, nachdem er einen weiteren Kaffee getrunken hatte.
Es war in der Tat surreal. Es war absurd. Marit war tot. Marit, die Vollwaise. »Seit meine Eltern tot sind«, hatte sie im Museum gesagt und sich dann schnell korrigiert. Niemandem war etwas aufgefallen.
»Was tun wir jetzt?«, fragte Aksel. Der große Wikinger schien völlig aus der Bahn geworfen zu sein.
»Ein Bier trinken? Das wäre die bayerische Lösung«, schlug Irmi vor. »Noch mehr Kaffee überlebt meine Magenschleimhaut nicht.«
»Fahren wir ins Hotel zu deinem Bekannten. Dort sollte es Bier geben.«
Im Hotel machten sich Aksel und Jens miteinander bekannt.
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