Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)
Soldaten aus, die während des Krieges mit den Deutschen kollaboriert hatten. Dies wurde unerwartet eine Woche nach dem Besuch des westdeutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer in Moskau bekannt gegeben. Er hatte um die Entlassung deutscher Staatsbürger aus dem Gulag gebeten. Um die Beziehungen zu Westdeutschland zu verbessern, befahl der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow, 9000 deutscheKriegsgefangene heimzuschicken, die nach Artikel 58 der sowjetischen Strafgesetzgebung wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« im Gulag inhaftiert waren. Da es absurd gewesen wäre, die Deutschen freizulassen und ihre »Kollaborateure« in der UdSSR weiterhin zu bestrafen, wurde die Amnestie bald auf Soldaten wie Lew ausgeweitet, die man nach Artikel 58 wegen »Vaterlandsverrats« verurteilt hatte.
Die Amnestie war überaus wichtig für Lew – viel wichtiger als seine offizielle Rehabilitierung. Sie gestattete ihm, als legaler Stadtbewohner nach Moskau zurückzukehren und mit einem »sauberen« Pass nach Arbeit zu suchen. Und sie ermöglichte ihm, ein neues Leben mit Sweta als seiner Frau zu beginnen. Am Tag nach der Bekanntgabe der Amnestie in der Iswestija fuhr Lew zurück zum Sowjet von Emmaus und ließ den Stempel mit der Inschrift »Art. 39« durchstreichen. Nun hatte er wieder den gleichen juristischen Status wie vor seiner Verhaftung, was auf der Seite, die den durchgestrichenen Stempel enthielt, verzeichnet wurde. Da Lew nicht mehr als vorbestraft galt, konnte er in aller Offenheit bei Sweta wohnen, wenn sie sich standesamtlich trauen ließen. Solange sie nicht legal zusammenleben konnten, hatten sie nicht geplant zu heiraten.
Lew und Sweta schlossen die Ehe am 27. September 1955. Beide waren 38 Jahre alt. Sie verzichteten auf eine Trauungszeremonie, formelle Bekleidung, geladene Gäste und Trauzeugen. Nicht einmal Eheringe hatten sie. Vielmehr gingen sie einfach mit ihren Pässen zum Standesamt – es lag in einem »düsteren Kellerzimmer«, wie Lew sich erinnerte – und ließen sich als Ehepaar eintragen. Dann wurde Lews Name dem Verzeichnis der in Swetas Wohnung gemeldeten Personen zugefügt. Die junge Frau im Büro, die ihre Ehe registrierte, begriff, dass Lew ein gerade entlassener Häftling war: Die Polizei hatte seinen Pass in Kalinin ausgestellt, das als zeitweiliger Wohnort für Ehemalige bekannt war, und das Dokument enthielt einen durchgestrichenen Stempel. Die Frau dachte, sie könne Sweta davor bewahren, ihr Leben durch die Ehe mit einem ehemaligen Häftling zu ruinieren, und erklärte: »Ich würde Ihnen nichtraten, ihn zu heiraten.« Sweta lächelte. »Schon gut. Tragen Sie seinen Namen als den meines Mannes ein.«
Lew und Sweta gingen nach Hause und teilten ihrem Vater mit, dass sie geheiratet hatten. »Lasst mich euch küssen«, sagte Alexander. »Damit war unsere Hochzeit vorbei«, erinnerte sich Lew. »Es gab keine Feier.« Später trafen allerdings Verwandte und Freunde mit Hochzeitsgeschenken ein, der Tisch wurde gedeckt, und man brachte Trinksprüche auf das Paar aus. Es fehlte an einem Trauzeugen, der eine Rede hätte halten können, aber ein paar Tage später erschien Strelkow, um den Frischvermählten zu gratulieren, und niemand hätte sich besser für die Rolle geeignet. Schließlich war es Strelkow, der Lew das Leben gerettet hatte.
Strelkow war im November 1954 entlassen worden. Der alte Bolschewik hatte 16 der 25 Jahre seiner Strafe abgesessen. Als Verfechter der sowjetischen Sache hatte er beschlossen, weiterhin im Holzkombinat zu arbeiten. Er übernahm den relativ gut bezahlten Posten eines stellvertretenden Schichtleiters zu einer Zeit, als das Arbeitslager unter der Aufsicht des Verkehrsministeriums in ein Industrieunternehmen umgewandelt wurde. Strelkow wohnte nicht mehr im Labor, sondern in einem Zimmer in einem Kommunalgebäude an der Sowjetstraße, doch er verwahrte seine Bücher und andere Habseligkeiten bei den Alexandrowskis innerhalb der Industriezone. Zum Zeitpunkt von Lews und Swetas Hochzeit war Strelkow in Moskau, um seine Tochter Walja und seinen siebenjährigen Enkel zu sehen, dem er vorher noch nie begegnet war.
»Lew, ich brauche deinen Rat«, sagte Strelkow bei seinem Besuch. »Ich muss jemandem ein Geschenk kaufen, und du hast ein künstlerisches Gespür und kannst mir helfen, etwas auszusuchen.« Er führte Lew in ein Antiquitätengeschäft am Stoleschnikow pereulok, unweit der Gorki-Straße im Zentrum von Moskau, und bat ihn, eine Schatulle mit einem
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