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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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entschlossen, sich nicht von der Reise abhalten zu lassen. »Die Entscheidung war auch im letzten Jahr wenig plausibel, aber Sieger werden nie verurteilt. 36 Bis jetzt bin ich mit der Situation fertig geworden, doch nicht immer ist das Glück dem Tüchtigen hold.«
    In diesem Jahr kam es zu zusätzlichen Komplikationen. Das Institut konnte es sich nicht leisten, Sweta lediglich nach Kirow aufDienstreise zu schicken. Zydsik wollte jedoch nicht einen ganzen Monat auf sie verzichten, indem er sie »entlang der ganzen Strecke« die Fabriken in Omsk, Swerdlowsk und Kirow inspizieren ließ. Dies hätte zwar die Kosten gerechtfertigt, zugleich aber die Planerfüllung des Instituts gefährdet, denn Sweta wurde für die Leitung der neuesten Forschungsprojekte im Labor benötigt. Am 4. Juli gelang es ihr, sich eine Dienstreise nach Omsk und Swerdlowsk zu sichern, von wo aus sie nach Petschora weiterzufahren hoffte. Allerdings herrschte immer noch Ungewissheit, denn eine Kollegin, die die Inspektion in Kirow vornehmen sollte, ließ sich viel Zeit, und Sweta konnte nicht abreisen, bevor die andere nicht zurückkehrte.
    Drei Wochen später war die Kollegin noch immer nicht nach Kirow aufgebrochen, und Sweta fand sich nun damit ab, Lew im Herbst, »der uns bisher immer Glück gebracht hat«, in einer Urlaubswoche zu besuchen. Lew hatte sie gewarnt, dass die Treffen infolge der strafferen Vorschriften auf »30 Minuten bis zwei Stunden mit der üblichen ›Beilage‹ [Code für: in Anwesenheit eines Wärters]« beschränkt seien. Litwinenkos Mutter habe es im Juni trotz der Zahlung von Bestechungsgeldern nur geschafft, dreimal drei Stunden ohne Aufsicht mit Nikolai zu verbringen. Lilejews Vater sei nicht erfolgreicher gewesen und habe lediglich zwei Treffen von gleicher Länge durchgesetzt. In einem Brief, der für den Fall, dass er den Behörden in die Hände fiel, verschlüsselt war, bat Sweta Lew, er solle ihr genauer schreiben, wie riskant oder erfolgversprechend es sei, die Wärter mit Wodka (»Vitamin C«) 37 oder Geld (»Vitamin D«) zu bestechen, um mehr Zeit oder Ungestörtheit herauszuschlagen. »Ehefrauen sind interessanter für mich als Mütter«, schrieb Sweta, womit sie ihren Wunsch unterstrich, mit Lew allein zu sein, »aber andererseits beschäftigt mich die praktische Frage, wo Begegnungen stattfinden können.« In seiner gleichermaßen verschlüsselten Antwort warnte Lew sie, ihre Erwartung, durch Bestechungsgelder viel ausrichten zu können, nicht zu hoch zu schrauben:
     
Vermutlich hast Du bereits vor ungefähr drei Tagen Informationen von I. S. [Lilejews Vater] über alle technischen Fragen erhalten und eingesehen, dass sogar optimale Bedingungen kaum Erfolgschancen bieten. Fermentierung mit Hilfe von Präparat D oder seiner organischen Entsprechung [Alkohol] ist wenig hilfreich. Jedenfalls kann sie an den Einzelheiten von Raum und Zeit [wie lange ein Treffen dauern und wo es stattfinden würde] nichts ändern und höchstens die Zahl der Zutaten verringern [den Wärter bewegen, das Zimmer zu verlassen], doch selbst das gelingt nicht immer. So ist die Situation. Die Statistik zeigt, dass Du recht hast: Frauen sind weniger an ihren Ehemännern interessiert als Mütter an ihren Söhnen. Laut örtlichen Informationen ist das Verhältnis des Ersteren zum Letzteren gleich null, weshalb keine spezifischen Angaben für den ersten Fall vorliegen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass er sich von dem zweiten unterscheidet.
     
    Sweta ließ sich weder durch die Hindernisse noch durch die Wahrscheinlichkeit abschrecken, dass sie Lew nur für ein paar Stunden, wenn überhaupt, sehen würde. »Es mag möglich sein, sich einen ›interessanteren‹ Urlaub vorzustellen«, teilte sie Lew mit, »aber ich werde zu keiner ›Entspannung‹ imstande sein, solange ich nicht ein Treffen mit Dir hinter mir habe.«
     
Ich frage mich, warum andere die Kürze so sehr fürchten und lieber nichts als nur ein wenig haben möchten, während ich finde, dass drei Stunden besser sind als überhaupt nichts. Ist es vielleicht Verbitterung? Ich glaube, ich kann selbst entscheiden, ob etwas für mich besser ist als nichts. Und für Dich ebenfalls. Was fällt Dir leichter, Ljowa? Schließlich werden wir eine Möglichkeit haben, einander zu sehen, nicht wahr? Und einander zu berühren – uns zu vergewissern, dass wir in der Realität und nicht bloß in Briefen existieren. Das ist bestimmt besser als nichts. Aber vielleicht maße ich mir zu viel an,

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