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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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und Du bewegtest Dich dauernd von mir weg.« Lew träumte ebenfalls von ihr. Er konnte Swetas Stimme hören, sie selbst jedoch nicht wahrnehmen. Oder er hatte einen Brief vor Augen, den sie geschickt hatte, ohne ihn berühren oder öffnen zu können. Außerdem erschien sie nicht nur in seinen Träumen, »sondern auch in der Realität, unerbittlich, und es wird wirklich schlimm«.
    Lew ging ständig mit Sweta um. Während seiner Schicht dachte er häufig an sie und führte im Geist Gespräche mit ihr. Die Versuche seiner Schichtkollegen, mit ihm zu reden, irritierten ihn. »Nikolai [Lilejew] musste zur Nachtschicht überwechseln«, teilte er Sweta mit, »und ich bin von der Notwendigkeit befreit, über meine Gedanken Rechenschaft abzulegen (›Was denkst du gerade, Lew?‹ – was für eine dumme Frage!).«
    Anfang 1949 war Lew mit Reparaturen im Kraftwerk beschäftigt. Im vorherigen Herbst hatte er eine Dampfheizung für das Triebwerk entworfen, aber als sie nach Neujahr geliefert wurde, stimmten die Maße nicht, so dass sie zur Reparatur in der Hauptwerkstatt geschickt werden musste. Am 18. Januar hatte er den ersten arbeitsfreien Tag seit mehr als einem halben Jahr. »Es wird mehr freie Tage geben«, schrieb er Sweta, »obwohl sie für mich nicht viel Gutes an sich haben.«
    Nach Terlezkis Abreise fand Lew wenig Trost bei seinen Freunden. Er wurde unabhängiger und wollte niemanden an sich heranlassen. »Ich bin während der Arbeit gern allein«, schrieb er am 19. Januar. »Natürlich kommen Leute, um mit mir zu sprechen, aber das stört mich nicht, solange man mir nicht das unangenehme Gefühl vermittelt, ihre Freundschaft oder Güte dadurch zurückzahlen zu müssen, dass ich mich ihnen anvertraue. Denn dazu bin ich gegenüber Nikolai [Lilejew] oder jedem anderen, der sich für meinen Freund hält, ganz und gar nicht fähig.« Lew fühlte sich durch das lockere Gerede in der Baracke abgestoßen, in der er sich ohne Terlezki noch isolierter vorkam als zuvor. »Heute war ein idiotischer Tag«, schrieb er Sweta am 20. Januar. »In der Baracke werdenso viele dumme, wilde Dinge getan, so viele Witze gemacht und Streiche gespielt, dass ich mich unweigerlich ärgere und mich frage, wie es möglich ist, dass ein Mann wie A. A. [Semjonow] 34 , der einen normalen Verstand hat, sich darauf einlässt, erst recht wenn diese Streiche auf Kosten irgendeines Anwesenden gehen.« Er konnte sich den anderen Häftlingen nicht anschließen, wenn sie begannen herumzualbern. Ihn irritierten die Trinkerei und die Gesänge seiner Mithäftlinge und sogar ihr lautes Dominospiel nach der Arbeit. Während Lew auf seinem Bett lag und Tolstois Anna Karenina zu lesen versuchte, schlugen seine Mithäftlinge um ihn herum über die Stränge. Ab und zu jedoch schloss er sich ihnen an. »Die Männer in unserer Baracke haben heute viel Spaß«, ließ er Sweta am 25. Januar wissen. »Dafür gibt es keinen besonderen Grund. Der Fußboden und die Fenster beben von ihren Tänzen und dem Klang ihrer Gitarren, und überraschenderweise erwies sich Alexandrowitsch als der beste Musiker. Ich ziehe den Hut vor ihm!«
    Drei Wochen später wurde an Strelkows 50. Geburtstag eine ruhigere Party gefeiert. Lew erschien mit Lilejew im Labor, um mit Strelkow Tee zu trinken. »Es war ein trauriger Tag«, schrieb Lew, »und ich konnte es nicht über mich bringen, ihm zum Geburtstag zu gratulieren. Natürlich wusste er, warum wir gekommen waren, er sagte aber nichts.« Strelkow litt noch immer unter Skorbut und unter zunehmend akuten Gallensteinattacken. Die Ärzte in der Krankenstation, denen das Fachwissen für die erforderliche schwierige Operation fehlte, konnten nichts unternehmen. Lew hatte Mitleid mit Strelkow, wie er Sweta erklärte:
     
Niemand hat so viel wie er für die Produktion des Holzkombinats getan, und dafür hat ihm nie jemand gedankt, sondern die Leute, die von seiner Arbeit profitiert haben, versuchen, dies zu verschweigen, um nicht preisgeben zu müssen, dass ihre eigene Tätigkeit von anderen für sie erledigt wird. Die hiesigenBosse heben keinen Finger, um ihm zu helfen – mit Ausnahme der individuellen Ration, die er ohnehin erhalten sollte, weil er krank ist.
     
    Eine noch traurigere Feier fand am 17. April statt. Dies war der 25. Geburtstag von Strelkows Tochter Walja, die zusammen mit seiner Frau, ihrem Mann und ihrem Sohn, den Strelkow nie gesehen hatte, in Moskau wohnte.
     
Erst 25! Und wenn G. J. [Strelkow] das Ende seiner Haft

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