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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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wenn ich diese Frage für Dich entscheide.
     
    Lew entgegnete:
     
Es spielt keine Rolle, wie lange unsere Begegnung dauert, wenn wir einander nur sehen können. Das steht hier nicht in Frage. Dadurch wird es für mich nicht schmerzlicher, später wieder auf Dich zu warten. Und selbst wenn es schmerzt, wird es besser sein, weil die Gewissheit besteht, dass es nicht nur war , sondern immer noch ist und auch in Zukunft sein mag – aber jedenfalls ist es . Und wenn ich dies nie erwähne, dann deshalb, weil ich es für egoistisch halte, für eine Form des indirekten Drucks, während es überhaupt nicht erwähnt werden sollte. Keine Rede, dass ich nicht an Dich glauben würde, Sweta, also sei bitte nicht zornig.
     
    Im August ergab sich für Sweta eine Möglichkeit, nach Uchta zu reisen, einem vom Gulag dominierten Industriestädtchen unweit von Ischma an der Eisenbahnstrecke zwischen Kotlas und Petschora. Die Fabrikleitung hatte das Institut um Expertenhilfe in ihrem Labor gebeten, und Zydsik hatte Sweta diese Aufgabe zugewiesen. Er hatte keine Ahnung, wo Uchta lag, denn als er ihr mitteilte, sie müsse dorthin statt nach Omsk reisen, hatte er sich entschuldigt, weil er ihre Pläne, Lew in Petschora aufzusuchen, verdorben habe. »Ich fragte Michail Alexandrowitsch, ob er wisse, wo Uchta liegt«, erinnerte sich Sweta. »Es sei kaum 250 Kilometer von Petschora entfernt, und ich könne mir nichts Idealeres vorstellen, solange er damit einverstanden sei, dass ich mit zwei oder drei Tagen Verspätung von meiner Dienstreise zurückkehren würde.« Sie brach am 30. August mit dem Zug nach Uchta auf. Dort verbrachte sie mindestens eine Woche und quartierte sich in einem Dorf unweit der Fabrik ein. Nachdem sie ihre Arbeit erledigt hatte, schlugen die Fabrikfunktionäre ihr vor, nach Moskau zurückzufliegen – eine Maschine sollte in Kürze vom Flugplatz Uchta starten –, doch Sweta erklärte, sie wolle lieber mit dem Zug reisen. »Sie brachten mich mit dem Auto zum Bahnhof [in Ischma]«, erinnerte sich Sweta später, »und ich redete ihnen nach Kräften zu, dass sie nicht zu wartenbrauchten, bis ich einstieg. Zum Glück trafen der Zug nach Moskau und der aus Moskau nach Petschora fast gleichzeitig in Ischma ein.« Als Swetas Gastgeber verschwunden waren, kaufte sie eine Fahrkarte für den nach Norden fahrenden Zug und stieg ein.
    In Petschora wurde Sweta wieder von Boris Arwanitopulo und seiner Frau Vera aufgenommen, bei denen sie schon im Vorjahr gewohnt hatte. Sie hielt sich vom 9. bis 12. September in Petschora auf, konnte diesmal aber viel weniger Zeit – wahrscheinlich nicht mehr als ein, zwei Stunden – mit Lew verbringen, und das in Gegenwart eines Wärters entweder in der Hauptwache oder dem kleineren Häuschen, in dem sie sich ein Jahr zuvor getroffen hatten. Wie Lew gewarnt hatte, war es infolge der verschärften Sicherheitsmaßnahmen im Grunde unmöglich, mehr Zeit herauszuholen, selbst wenn man ein Schmiergeld zahlte. Dennoch schöpften beide durch die kurze Begegnung neuen Mut – so war die Trennung der kommenden Monate weniger schwer zu ertragen –, und allein das schon rechtfertigte Swetas Reise. Um diese kurze Zeit mit Lew zu verbringen, hatte sie eine Eisenbahnfahrt von 4340 Kilometer Länge auf sich genommen.
    Sweta verließ die Arwanitopulos am frühen Morgen des 12. September. Folgenden Brief schickte sie an jenem Abend auf der Rückreise nach Moskau vom Bahnhof Tobys ab, nicht weit südlich von Uchta:
     
Mein Liebling Lew, die Reise verläuft glatt.
Übermittle Schaba [Alexandrowitsch] meinen Dank. 38 Gestern Abend bin ich nirgendwohin gegangen, sondern habe mich nur umgezogen, meine Sachen gepackt und mich um 22 Uhr hingelegt. Vera weckte mich um 4 – es wurde bereits hell. Keiner saß am Schalter, und ich konnte mir erst eine Fahrkarte besorgen, als ein verspäteter nördlicher Zug einfuhr und Chaos ausbrach – jeder musste eine Fahrkarte kaufen oder eine in Petschora abstempeln lassen. Ich gab Boris 125 für die Beförderungund Vera 50. Sie weigerte sich natürlich, nahm das Geld dann jedoch bereitwillig an. Ich versprach, ihr ein Muster für einen modischen Glockenrock zu schicken, und sie plant immer noch, mir genug Rubel für einen Pelzmantel zu senden. Ich versuchte, sie zu überreden, ihn lieber selbst zu kaufen, wenn sie im Urlaub ist. Aber in erster Linie hoffe ich, dass sie nicht in der Lage sein wird, das Geld zu sparen …
   In Koschwa habe ich Lew Jak. [Israilewitsch] getroffen

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