Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
abhält, nach Berlin an den Führer eine Meldung zumachen.«
    »Der Führer!« Der SS-Mann lachte laut. »Das ist nur noch ein zittriger, ängstlicher Greis. Eine Mumie! Der kommende Mann ist Himmler! Wir sind die Regenten!«
    »Das wußte ich nicht«, sagte Dr. Schwab. Er sah verstohlen auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Er atmete auf …
    Durch die Gänge der unterirdischen Fabrik hallten schnelle Schritte. Sie klapperten die Treppen hinauf ins Freie. Holzsohlen … derbe Stiefel … KZ-Schuhe. Der SS-Führer sah auf die Uhr. Er grinste breit.
    »Sie haben Zug in der Kolonne, Dr. Schwab«, sagte er anerkennend. »Noch zwei Minuten – dann sollen Sie es einmal knallen hören! Rrrrr – das nennt man die ›Endlösung‹ aller Probleme.«
    Dr. Schwab nickte. »Noch zwei Minuten.« Er ging hinter seinen Schreibtisch und zog die Schublade auf. Auf einem Stapel Papiere lag eine schwarz glänzende Pistole, eine 08, geladen, gesichert, schußbereit, eine Patrone bereits im Lauf.
    Der SS-Führer drückte seine Zigarette in dem Aschenbecher auf Dr. Schwabs Schreibtisch aus. »Gehen wir«, sagte er ruhig. »Oder wollen Sie hierbleiben? Ist nichts für Ihre schwachen Nerven, was? Macht nichts – – – Sie müssen mir nur später unterschreiben, daß wir die Burschen liquidiert haben! Eine kleine Quittung – – – bei uns ist alles nach der Ordnung.«
    »Soso, das muß ich?« sagte Dr. Schwab. Der Ton seiner Stimme riß den SS-Führer herum. Er hatte schon einen Fuß zur Treppe hinauf gesetzt. Verblüfft sah er auf den stillen Gelehrten, der hinter seinem Schreibtisch stand und eine 08 auf ihn gerichtet hielt. Direkt in das fahl werdende Gesicht. Der Sicherungsflügel war herumgeworfen … er sah es und wußte, daß es kein Scherz war, sondern tödlicher Ernst.
    »Lassen Sie den Blödsinn!« zischte der SS-Führer. »Ich lasse Sie mit erschießen, wenn Sie – – –« Er wollte die von der Brust an dem Riemen pendelnde Maschinenpistole vorreißen, als die nüchterne Stimme Dr. Schwabs seine Handbewegung auf halbem Wege unterbrach.
    »Bleiben Sie ruhig stehen!«
    »Ich – – –«
    »Wenn Sie sich bewegen, schieße ich. Sie wissen, daß ich mit der Pistole schneller bin als Sie mit der MP. Bewegen Sie sich nicht!«
    »Was wollen Sie, Sie Reaktionärschwein?« Der SS-Führer blieb auf der Treppe stehen. Hinter sich hörte er das Klappern der Holzsohlen der KZ-Häftlinge. Sie liefen die Treppen hinauf ins Freie. Vom Fabrikhof her hörte er jetzt einige Schüsse – – – dann Ruhe. Unwirkliche Ruhe.
    »Was soll das alles?« fragte er heiser.
    »Ich habe die dreihundert Unschuldigen in Sicherheit gebracht. Wieviel Männer haben Sie mitgenommen?«
    »Zwanzig. Die genügen zur Exekution.«
    »Sie werden nicht mehr leben.« Die Stimme Dr. Schwabs war belegt. Er ahnte, was oben auf dem Fabrikhof sich in Sekundenschnelle abgespielt hatte, und er wußte, daß er dafür verantwortlich war. Nicht vor der Regierung, die es nicht mehr gab – sondern vor Gott. Aber er nahm die Last auf sein Gewissen. Ich habe dreihundert arme Menschen gerettet, dachte er. Dreihundert seit Jahren geknechtete und getretene Halbverhungerte, die sinnlos sterben sollten, weil die Diktatur ihre Zeugen beseitigen will! Er sah auf den blassen SS-Führer und nickte ihm zu.
    »Es ist vorbei. Der Krieg, die Knechtschaft, das Unrecht in der Welt! Was bleibt, wird eine Leere sein. Ein grauenhaftes Vakuum, das eine ganze Generation nicht mehr ausfüllen kann! Das habt ihr in zwölf Jahren aus unserem schönen Deutschland gemacht …«
    »Quatsch nicht so blöd!« Der SS-Führer starrte auf den kleinen, runden Lauf der Pistole in Dr. Schwabs Händen. »Nimm das Ding endlich weg!«
    »Es ist besser, Sie stehen hier, als wenn Sie jetzt hinaufgehen. Man wartet draußen nur auf Sie. Dreihundert gegen Sie – – – das ist eine schlechte Rechnung!«
    Über den Körper des SS-Führers lief ein Zittern. Er ließ die Hände sinken und fühlte, wie ihm plötzlich kalter Schweiß vom Nacken in den Uniformkragen lief.
    »Sie werden mich schützen«, sagte er leise.
    »Ich?«
    »Sie haben die Bestien draußen freigelassen.«
    »Es sind Bestien durch Sie geworden! Sie haben den Haß großgezogen! Sie haben sie jahrelang getreten und gepeinigt. Das Leben stellt Rechnungen aus, die man begleichen muß!«
    In die Augen des SS-Führers trat ein irrer Glanz. Er lehnte sich gegen die Wand der Treppe und wischte sich über die schweißnasse Stirn. Dabei zitterte seine Hand wie

Weitere Kostenlose Bücher