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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gesprochen hatte, nachdem er alles Heu, was er betteln konnte, zu ihm getragen hatte und es immer und immer wieder streichelte und liebkoste.
    Dann saß er an dem hingestreckten, toten Körper, an diesem Berg Knochen, überzogen mit einem graubraunen, struppigen Fell und weinte. Weinte wie ein Kind, hell, wegfließend in seinen Tränen, untröstbar.
    Weinend führten ihn Rita und Frau von Knörringen auf das Boot.
    »Ich habe meinen besten Freund erschossen«, schluchzte er immer wieder. »Ich habe einen Teil meiner selbst erschossen. O Gott, o Gott – – – wann hört deine Strafe auf – – –«
    In Swinemünde betraten sie wieder deutschen Boden. Sie kamen in das Chaos einer völligen Auflösung von Moral und Kraft. Aber sie waren in Deutschland, sie waren in der Freiheit. Sie lebten!
    Frank Gerholdt begann in diesen Tagen, an Gott zu glauben.

5
    Der Rhein floß träge und breit wie vor Jahren an den Städten und Wiesen und Feldern vorbei. Nur die Brücken, die die Ufer miteinander verbanden, lagen in den gelbgrauen Fluten, die Städte an seinen Seiten waren klagende, schreckliche Stätten von Trümmern, Tod, Verwesung und schwelendem Brand. Die Felder versteppten, die Wälder wurden abgeholzt und mit großen amerikanischen Schleppern weggefahren, auf den Wiesen weideten einsame Kühe und Pferde, ein paar Schafe und einige Ziegen. Mager, halb verhungert, aus dem Schutt und der Asche des Unterganges gerettet und hinausgetrieben auf die dürre Weide. Gebt Milch! Gebt Milch! Butter, Käse, Magermilch. Man kann sie vertauschen. In den Städten zahlt man für ein Pfund Butter dreihundertfünfzig Mark! Für ein Ei zehn Mark …
    Auch an der Fabrik Frank Gerholdts floß der Rhein vorbei. Die Ladebrücken waren gesprengt, ihre Eisentrümmer zerteilten den Strom. Die Hallen, die Lager, die Bürogebäude waren umgepflügt, die unterirdischen Betriebe gesprengt und zugeschüttet worden. Es gab nichts mehr als ein kleines Kesselhaus und eine Nebenhalle, in der die alten Maschinen des längst vergessenen Jakob Silberbaum standen. Maschinen fast wie aus einem sagenhaften Jahrhundert … aber sie hatten das Grauen überlebt, als seien sie ein Symbol vom Geist des alten Silberbaum, den zwölf Jahre Terror nicht brechen konnten, weil es der Geist der Demut und des Glaubens war.
    Dr. Schwab hatte den Zusammenbruch unten in seinem unterirdischen Büro erlebt. Nachdem die Wellen der Luftangriffe fast pausenlos über das Land rollten und alles zerhämmerten, was das flache Land überragte, nachdem die deutschen Truppen über den Rhein zogen und die Brücken hinter sich in die Luft jagten, hatte er als erste Handlung die KZ-Häftlinge entlassen und ihnen aus den Spenden der zurückbleibenden Arbeiter Zivilkleider beschafft.
    Die SS-Bewachung war die letzte Truppe, die mit Booten über den Rhein setzte. Vorher war der SS-Sturmführer noch bei Dr. Schwab gewesen, eine Maschinenpistole in der Hand, und hatte mit schreiender Stimme gefordert:
    »Alle KZ-Schweine auf dem Hof antreten! Bevor die Scheiße zu Ende geht, sollen die Kerle noch in den Himmel flattern! Los! Los!«
    Dr. Schwab hatte den SS-Sturmführer lange angeblickt, ehe er hinter seinem Schreibtisch aufstand und um ihn herumging.
    »Von wem kommt dieser Befehl?« fragte er ruhig.
    »Vom Reichsführer SS!« schrie der SS-Sturmführer.
    »Bitte – zeigen Sie mir das Schriftstück!« Dr. Schwab hielt die Hand auf. Der SS-Mann starrte die Finger an.
    »Sind Sie verrückt?« sagte er leise und gefährlich. »Wenn ich sage – an die Wand mit den Schweinen – dann ist das auch für Sie ein Befehl! Los!« brüllte er auf. »Keine Mätzchen, Sie akademischer Scheich, sonst sind Sie der erste, der als Englein singt!«
    Dr. Schwab nickte. Er ging aus dem Zimmer. Aber er ließ nicht die dreihundert KZ-Häftlinge zusammenpfeifen, sondern nahm fünf der kräftigsten Häftlinge, die in der Heizung arbeiteten, zur Seite.
    »Sie wollen euch erschießen«, sagte er. »Haut ab! Sagt es den anderen. Ich halte den Sturmführer so lange fest, bis ihr die Fabrik verlassen habt. In zehn Minuten müßt ihr weg sein …«
    Er ließ die verblüfften Häftlinge stehen und eilte in sein Zimmer zurück. Der SS-Sturmführer lehnte an der Wand. Er rauchte und sah Dr. Schwab mit zusammengekniffenen Augen entgegen.
    »Nun?«
    »Sie werden auf dem Hof versammelt. In zehn Minuten sind alle da.«
    Der SS-Führer nickte zustimmend. »Es ist immer gut, vernünftig zu sein, Dr. Schwab.«
    »Was mich nicht

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