Schicksal aus zweiter Hand
vier – – –! So schlug er eine Brücke zwischen Jazz und Marsch und lebte zufrieden außerhalb aller Probleme.
Frank Gerholdt dachte darüber nach, was jetzt in Hamburg geschehen würde. Ob Dr. Werner eine Spur gefunden hatte? Ob er ihn einkreiste? Wie sollte er aber wissen, daß der Räuber ein Frank Gerholdt war, einer der Millionen Arbeitslosen? Und doch bekam die Polizei so manchen Verbrecher zu fassen. Manchmal bewunderte er direkt die Polizei.
Während er an dem Fenster stand und über das abendliche Köln blickte, tat in Hamburg das Kindermädchen einen Schrei und zeigte auf das Bild in der Kartei des Arbeitsamtes Altona-West.
»Das ist er!« sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich erkenne ihn wieder! Ganz genau! Das ist er.«
Dr. Werner atmete hörbar auf. Er las die Kartei und schüttelte dann den Kopf.
»Irren Sie sich auch nicht?«
»Nein, nein! Er ist es! Er hat mich zweimal überfallen – ich vergesse dieses Gesicht nie mehr!«
Dr. Werner hob die Schultern. »Na also … bringen wir den Guten ins Fahndungsblatt. Frank Gerholdt, jetzt vierundzwanzig Jahre alt, geboren am 18.6.1908 in Bremen. Volksschule, Realgymnasium bis Untertertia, dann Abgang, weil Vater verunglückte. Lehre als Schlosser, Gesellenprüfung 1930. Dann arbeitslos, verzogen nach Hamburg. Seemannsasyl. Vermittelte Arbeit: Stundenarbeit im Hafen.« Er sah den Leiter des Arbeitsamtes an und nickte. »Ein typisches Zeitschicksal. Das Leben begann voller Hoffnungen und endet im Sumpf des Verbrechens. Was wäre aus dem Jungen geworden, wenn der Vater weitergelebt hätte, wenn es keine Wirtschaftskrise gäbe, keine zwei Millionen Arbeitslose, keinen verlorenen Krieg?! Vielleicht hätte er sein Abitur gemacht, hätte Maschinenbau studiert, wäre Diplom-Ingenieur geworden und eine Kanone in der Wirtschaft. Jetzt ist er Kidnapper, ein betrogener Kidnapper auch noch, der alles umsonst machte!«
»Das entschuldigt alles nicht seine gemeine Tat«, sagte der Arbeitsamtsleiter hart.
»Natürlich nicht! Wir werden ihn jetzt auch jagen! Und wir bekommen ihn! Mit diesen genauen Personalien, mit diesem klaren Foto!« Dr. Werner steckte die Karteikarte in seine Aktenmappe. »Sie erhalten das Blatt morgen wieder. Ich brauche es für die Klischees und für die Beschreibung.« Er klopfte auf die Aktenmappe und lächelte selbstsicher. »In drei Tagen gehen die Plakate und Fahndungsschreiben in alle Winde hinaus. In spätestens acht Tagen haben wir ihn vor uns stehen! Es lohnt sich nicht in Deutschland, ein Verbrecher zu sein …«
Am nächsten Morgen klapperte Frank Gerholdt die Fabriken ab. Die Deutzer Motorenwerke, die Humboldtwerke, die Fordwerke , die Auer-Mühle, die Chemische Fabrik Köln-Kalk. Dort erhielt er Arbeit, aus Zufall, weil ein Unfall gerade in einer Kolonne den Akkord störte. Zwischen drei Kesselhäusern wurden neue Rohrleitungen gelegt, durch die später die Basen und Säuren von Destillierkessel zu Destillierkessel fließen sollten.
Frank Gerholdt griff zu. Er fragte nicht lange, was es für Arbeit war. Er hörte nur den Stundenlohn. Neunzig Pfennig! Zehn Stunden – das sind neun Mark! Neun Mark mal sechs – das sind in der Woche vierundfünfzig Mark! Mein Gott – jede Woche vierundfünfzig Mark! Und das Zimmer kostet im Monat bloß fünfundzwanzig Mark! Er war ja reich … er war ja so reich! Rita konnte essen, trinken, sie konnte neue Sachen bekommen, Spielzeug, eine Puppe! O Gott, eine Puppe für Rita …
Er nahm die Arbeit an … für den morgigen Tag. Fast übermütig vor Glück fuhr er mit der Straßenbahn zurück nach Riehl und stürzte in die Küche von Frau Möllen, als diese gerade über einem Waschbecken stand und ihre Haare wusch. Sie quietschte auf und wickelte das Handtuch um ihre nassen Haare.
»Ohne anzuklopfen!« sagte sie strafend. »Wenn ich nun was anderes gewaschen hätte!«
Gerholdt überhörte den Vorwurf. Er strahlte und war bereit, an diesem Tag sich über nichts mehr zu ärgern.
»Ich habe soeben meine Stellung gewechselt«, sagte er forsch.
Frau Möllen seufzte. »Und nun wollen Sie wieder ausziehen?«
»Im Gegenteil! Ich werde kaum zu Hause sein. Das ist es. Wer soll in dieser Zeit für Rita sorgen. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich eine alte Frau einstelle, die tagsüber bei Rita ist und sie pflegt?«
»Eine alte Frau!« Frau Möllen war beleidigt und zog einen Schmollmund. Mit ihrer Unterlippe hätte man schaufeln können. »Bin ich schon zu alt dazu?«
»Sie wollen sich um Rita
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