Schicksal aus zweiter Hand
durch und durch nationalsozialistischen Betrieb ein so guter Arbeiter wie Sie nicht Mitglied der Partei ist.«
»Welcher Partei?«
»Erlauben Sie mal!« Herr Bender war sehr konsterniert und legte die Zigarre hin. Gerholdt hob bedauernd die Schultern.
»Ich bin politisch gar nicht interessiert. Ich will verdienen!«
»Eben! Eben! Man verdient heute mehr mit der Politik als ohne sie! Ich könnte mir vorstellen, daß die Direktion unserer Firma sehr wohlwollend bei der Vergabe der Aufträge sein könnte, wenn ich sage: der Parteigenosse und SA-Mann Gerholdt bittet um bevorzugte Lieferung. Außerdem könnten wir dann melden, daß unser Betrieb zu neunundneunzig Prozent in der NSDAP ist. Wir bekämen das goldene Schild! Mein Lieber, das bedeutet, daß man uns auch bei Staatsaufträgen berücksichtigt.« Herr Bender lächelte Gerholdt freundlich an. »Na, wie ist's also? Werden wir Mitglied der Partei?«
»Wenn es sein muß.« Gerhold nickte. Herr Bender strahlte, schob ihm die Kiste mit Zigarren hin und ging beschwingten Schrittes zu einem Schrank, aus dem er eine Flasche Kognak und zwei bauchige Gläser holte. Er goß sie halbvoll und hob das seine empor.
»Auf weitere gute Zusammenarbeit, Parteigenosse Gerholdt!« rief er fast enthusiastisch. »Melden Sie sich morgen bei Standartenführer Henselberg. Ich werde Sie telefonisch anmelden. Alles andere besorge ich!«
So wurde Frank Gerholdt Mitglied der Partei. Er wurde SA-Mann und bekam nach zwei Wochen, als er die ersten Beiträge und einige freiwillige Spenden bezahlt hatte, zwei neue Maschinen geliehen sowie eine kleine Baracke. »Sie können alles abzahlen«, sagte Herr Bender liebenswürdig. »Es läuft alles auf langfristigen Kredit. Im übrigen darf ich Ihnen gratulieren: Sie sind der erste selbständige Zweigbetrieb unserer Fabrik.«
»Selbständige Zweigbetrieb?«
»Ja. Sie sind völlig selbständig und unterstehen lediglich unserem neuen Konzern, der Sie kontrolliert. Sie versteuern Ihren Verdienst selbst, während Sie die Arbeit von uns zugeteilt bekommen. Als Halbfertigproduktionsbetrieb sind Sie Mitglied unseres Konzerns. Sie verstehen?«
»Natürlich.«
Frank Gerholdt lächelte zu Herrn Bender zurück.
»Man nennt das: Konzentrierte Dezentralisierung.«
Nach dieser Definition wurde Herr Bender sehr wortkarg, und Gerholdt verließ ihn bald in dem Bewußtsein, ihm angedeutet zu haben, daß er nicht ganz so idiotisch sei, wie ihn Herr Bender bisher insgeheim betrachtet hatte.
Es geschah in diesen Wochen, daß Gerholdt zum erstenmal Bilanz über sein bisheriges Leben machte.
Was hatte er erreicht seit seiner Flucht aus Hamburg?
Er hatte Rita das Leben gerettet.
Er war Besitzer einer Baracke, an deren Eingang stand: Federnstanzwerk.
Er besaß vier elektrische Maschinen.
Er beschäftigte seit vierzehn Tagen drei Arbeiter.
Er fuhr einen Tempolieferwagen.
Er war Mitglied der Partei und SA-Mann in Sturm 83.
Auf seinem Schreibtisch lagen die Bestellzettel. Arbeit für ein halbes Jahr im voraus.
Wenn er das Leben so betrachtete, konnte er zufrieden sein.
Die Wiedergeburt eines neuen Frank Gerholdt war gelungen. Der alte Gerholdt, der Verbrecher, der Kidnapper, der streunende Arbeiter aus dem Hamburger Hafen, war gestorben.
Und vor allem: Rita lebte! Sie würde weiterleben, hatte Prof. Sentz gesagt.
An diesem Abend trank Frank Gerholdt eine Flasche Wein. Eine ›Zeller Schwarze Katz‹ auf der Reichert-Terrasse, gegenüber dem Dom, der, von Scheinwerfern beleuchtet, in den nächtlichen Himmel ragte.
Es war eine kleine Siegesfeier, denn er glaubte, daß er den richtigen Weg beschritten hatte, seine große, geheime Schuld zu sühnen.
Im neuen Landeskriminalamt hatte der große Widersacher Gerholdts , Dr. Werner, das Aktenstück endgültig weggelegt und sich ganz auf andere, neue Fälle geworfen. Der Polizeipräsident war gewechselt worden … ein SS-Gruppenführer stand jetzt an der Spitze, ein Regierungsrat als Leiter der Geheimen Staatspolizei residierte und schaltete sich in alle Kapitalverbrechen ein, der Gauleiter wollte gefragt sein und – was noch schlimmer war – gehört werden. Es war schon ein schweres Leben, das Dr. Werner führte. Hinzu kam, daß Reeder von Buckow für seine antinationalsozialistische Einstellung in den jetzt regierenden Kreisen bekannt war und deshalb eine weitere Verfolgung des ›Falles Rita von Buckow ‹ nicht mehr im Sinne des Polizeichefs war. Als Dr. Werner doch noch einmal an die schwebenden
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