Schicksal aus zweiter Hand
heute gehetzt wurde und das sich im Dschungel der Großstadt verbarg, unter dem Dach als Untermieter bei einer Frau Möllen. Wäre das alles so geworden, wenn er in Bremen geblieben wäre?
Würde er ein Verbrecher sein, wenn Mutter noch lebte?
Er wußte die Antwort auf diese Frage, aber er gab sie sich nicht. In Bremen hatte er eine gute Gesellenstelle, er hätte seinen Meister machen können, er wäre ein ehrlicher Handwerker geblieben, wenn … Und dieses Wenn im Leben eines Menschen ist der Drehpunkt des Schicksals, ist die Weiche, deren Wege nach zwei Seiten gehen. In das Licht und in das Dunkel. Er hatte die Nacht gewählt. Um so heller sollte das Leben Ritas werden, die er herausgerissen hatte aus einem Leben voller Sorglosigkeit und Reichtum.
Heiraten? Eine fremde Frau sollte die Mutter Ritas werden?
Er trat an das Fenster und schloß es. Der Kanzleivorsteher hatte das Radio wieder laut gestellt. Es gab schon einen Krach deswegen zwischen Frau Möllen und ihm. »Wenn Sie in Ihrer Wohnung Löcher stanzen, kann ich Radio spielen!« hatte der Feldwebel a.D. lauthals gesagt. »Das Prummprumm der Maschine stört mich mehr, als Sie mein Radio stören kann! Meine Musik ist anständig!« Dann hatte er die Tür zugeworfen und den Apparat auf volle Lautstärke gedreht.
»Ein unhöflicher, unerzogener Mensch!« stellte Frau Möllen empört fest. »Wenn mein Seliger noch lebte, wäre das nicht vorgekommen.«
Wie kann jemand Rita jemals so lieben wie ich, dachte Frank Gerholdt. Immer wird sie die Stiefmutter sein. Und wenn sie eigene Kinder bekommt, wird Rita in den Hintergrund treten. Es kann nicht gutgehen, es kann bestimmt nicht gutgehen.
Er glaubte, damit alles überdacht zu haben, und warf den Gedanken, den ihm Prof. Sentz so eindringlich vorgestellt hatte, wieder von sich. Arbeiten, sagte er sich. Das ist alles. Geldverdienen, Rita ein schönes Leben bieten, eine gute Erziehung, das soll ein Ziel sein.
Es wurde alles anders.
An einem Sonnabend trat Gerholdt in die NSDAP ein.
Er wollte es eigentlich nicht, ihn kümmerte die Politik wenig, und wenn auch ein Hitler am 30. Januar 1933 als Reichskanzler an des Reiches Spitze stand, so wußte Gerholdt wenig von ihm und seinen Ideen. Zwar hatte er in den Jahren viel von ihnen gelesen, er hatte die Straßenschlachten der Kommunisten mit den SA-Leuten miterlebt, er sah auch, daß in diesem Jahre 1933 die ersten Arbeitslosen von der Straße kamen und zum Bau von Staatsbauten und Straßen eingesetzt wurden, er sah jeden Sonntag die braunen Kolonnen durch Köln marschieren, mit wehenden Fahnen über den Ring, singend, blitzende Standarten vor sich tragend wie römische Legionen. Aber er hatte nie gefragt, was sich eigentlich geändert hatte. Er stanzte weiter, und er wußte, daß auch die neue Regierung ihn ins Zuchthaus sperrte, wenn man ihn fangen würde. Sie war für ihn genauso gefährlich wie die alten Regierungen, gefährlicher noch, denn die Polizei wurde weiter ausgebaut, eine Geheime Staatspolizei unterstützte die Suche nach schweren Fällen, die Richter wurden härter und verhängten Höchststrafen. Er sah also keinen Grund, sich um die braunen Herren zu kümmern, und doch trat er an diesem Samstag der Partei bei und wurde sogar SA-Mann. In Sturm 83, Sturmbann 37, Standarte 5 unter Standartenführer Hans Henselberg, einem Schuhmacher aus dem Hafenrevier Kölns.
Als Gerholdt wieder seine Kisten mit den fertigen Teilen ablieferte … er hatte jetzt sogar einen alten Tempo-Dreirad-Laster, mit dem er ratternd durch Köln fuhr … empfing ihn in Zollstock der neue Personalchef der Fabrik. Sehr jovial, sehr freundlich lud er ihn zu sich ins Büro ein, bot ihm eine Zigarre an und bat Gerholdt, Platz zu nehmen. Im Knopfloch trug der Personalchef einige Ordensbänder und auf dem Revers das runde Parteiabzeichen.
»Mein Lieber«, sagte Herr Bender und betrachtete Gerholdt eingehend. »Sie arbeiten jetzt über ein Jahr für uns. Wir sind zufrieden mit Ihnen, wir sind sogar bereit, Ihnen größere Aufträge zu geben, nicht mehr als Lohnarbeit, sondern auf eigene Rechnung. Der nationale Aufschwung unserer Nation, die Gesundung der Wirtschaft unter dem Genie Adolf Hitlers hat es mit sich gebracht, daß auch wir größere Absatzmöglichkeiten haben. Vor allem ist da so allerlei in der Planung … Federn für Geheimaufträge, Bolzen, Klammern … kurz und gut: Es geht mit Deutschland aufwärts! Auch mit Ihnen soll es aufwärtsgehen, nur wundern wir uns alle, daß in einem
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