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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Charakter und ist im Inneren ein sehr weicher Mensch …«
    Dr. Werner erkannte in dieser Zusammenfassung des seelischen Rätsels auch seine Unmöglichkeit, mit reiner Routinearbeit der Kriminalpolizei den Fall zu lösen und Gerholdt zu überführen. Er würde keinerlei Blößen entdecken können, die zu einer Entlarvung des Untergetauchten führen würden. Er lebte sicherlich als angesehener Bürger – als Witwer mit Kind – irgendwo in Deutschland, hatte Arbeit gefunden und würde seine Tochter Rita großziehen, wie es alle Väter taten. Vielleicht heiratete er sogar … dann war die Spur völlig verwischt. Nur die beiden Grabsteine auf dem Blankeneser Friedhof klagten stumm ein Verbrechen an, das für immer ungesühnt blieb.
    Dr. Werner schloß sein Tagebuch in die Schreibtischschublade und brannte sich eine gute Zigarre an. Den Ringen des Rauches nachsehend, die langsam gegen die weiße, getünchte Decke stiegen, empfand er eine merkwürdige innere Leere, die das Gefühl erzeugt, in einer wichtigen Angelegenheit glatt versagt zu haben. Ich habe von Buckow versprochen, Gerholdt zu überführen, dachte Dr. Werner. Es war das letzte, was ich mit Buckow besprach, ehe er verunglückte. Ich habe es damals wie einen Schwur aufgefaßt, unter dem Eindruck der schrecklichen Tat. Ich werde diesen Schwur halten müssen, auch wenn sich alles um uns verändert hat und der Herr Gruppenführer an der Entführung eines ›Sozikindes‹ nicht interessiert ist.
    Er blies gegen einen Rauchring und zerstörte ihn. »Denken wir an etwas Erfreulicheres«, sagte er halblaut zu sich. Er erhob sich, holte vom Rauchtisch die neuesten Gewinnummern der ›Norddeutschen Klassenlotterie‹ und ging mit dem Zeigefinger die Rubriken der Auslosung entlang, ob nicht auch seine Zahl gezogen worden war. Seit zwei Jahren spielte Dr. Werner ein Viertellos. Fünfundzwanzigtausend oder fünfzigtausend oder gar hunderttausend Mark gewinnen, dachte Dr. Werner manchmal. Dann gibt es für mich keinen SS-Gruppenführer mehr, vor dem ich alter Kriminalkommissar strammstehen muß wie vor einem Unteroffizier. Dann gehe ich mit dem Geld in die Privatwirtschaft und atme eine freiere Luft.
    Er nahm sein Los aus der Brieftasche und suchte weiter die Nummern ab, die gezogen worden waren. Es war das beste Mittel, für eine kurze Zeit Frank Gerholdt und alle anderen Fälle zu vergessen.
    Rita gedieh prächtig.
    Gerholdt hatte, sehr zum Mißfallen Frau Möllens, die weinend in der Wohnung herumrannte und von der Undankbarkeit der Welt und der Männer im besonderen sprach, eine kleine 3-Zimmer-Wohnung gemietet, in der Nähe seiner Fabrikbaracke. Das war jedoch nicht alles, was Frau Möllen die Fassung raubte: Frank Gerholdt hatte sich plötzlich entschlossen zu heiraten.
    Wie alles in seinem bisherigen Leben, so spielte auch hier der große Zufall die entscheidende Rolle, gewissermaßen die große Kupplerin. Es begann damit, daß Gerholdt an einem Sonntag als braver SA-Mann in seiner braunen Uniform, den Tschako, mit dem Sturmriemen unter dem Kinn, keck auf dem Kopf, hinter der roten Fahne hermarschierte und draußen im Stadion Kölns, nach Auflösung der Kolonne, in einer Gartenwirtschaft ein Bier trank.
    Hinter der Theke stand ein nettes, haselnußbraunes Mädchen und zapfte die Gläser voll. Als Gerholdt bestellte, trafen sich ihre Augen kurz, für eine ganz kleine Sekunde, dann blickten sie wieder weg, und Gerholdt nahm den ›Völkischen Beobachter‹, um das Neueste aus der Welt zu erfahren, kommentiert im Geiste der neuen Ideologie.
    Das Mädchen stellte das Bier vor ihm auf den runden Tisch und sagte: »Wohl bekomm's.« Gerholdt nickte und las weiter. Als sie sagte: »Dürfte ich gleich kassieren?« blickte er wieder auf und legte die Zeitung zur Seite.
    »Haben Sie Angst, ich brenne Ihnen durch?«
    »Nein. Aber es ist hier üblich, gleich zu zahlen.«
    »Wie in einem Wartesaal.«
    »So ähnlich. Wir sind hier ein Ausflugslokal, und es geht 'raus und 'rein. Da verliert man leicht die Kontrolle. Vor allem am Sonntag, wenn die ganzen Kolonnen heranmarschieren. SA, BDM, HJ, Pimpfe, Politische Leiter, NSV und was so alles kommt.« Das Mädchen griff unter ihre Schürze und klimperte mit dem Geld, das sie in einem schwarzen Beutel um den Leib trug. »Fünfunddreißig Pfennig macht es«, sagte sie, das Gespräch abschließend.
    »Schön.« Gerholdt betrachtete das Mädchen. Es trug unter der weißen Schürze ein geblümtes Lavabelkleid, knielang und die schönen,

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