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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie mit ihren großen blauen Augen zu ihm aufschaute und ›Papa‹ sagte. Er spielte mit ihr, baute aus Holzklötzchen Türme, die sie mit ihren Händchen jauchzend einriß, schleifte an einem Faden eine nickende und gackernde Ente durch das Krankenzimmer oder las aus einem Bilderbuch die kleinen Verse vor … von der Muhkuh, vom Schäfchen und der Pilleente . Ein paarmal betrat Prof. Sentz das Zimmer, wenn Gerholdt auf einem Tablett gewissenhaft ein Haus aus Bausteinen zusammenstellte. »Wo soll das hinführen, Herr Gerholdt ?« sagte Prof. Sentz einmal. »Sie verwöhnen das Kind zu sehr.«
    »Ich muß ihm Vater und Mutter sein, Herr Professor.«
    »Ihre Frau ist früh gestorben?«
    »Acht Wochen nach der Geburt des Kindes.«
    »An den Nachwirkungen einer schweren Entbindung?«
    »Nein. An Rippenfellentzündung. Sie wurde zu spät erkannt. Die Rückenschmerzen hielt man eben für Nachwirkungen der Geburt – dabei war es das Rippenfell.«
    Prof. Sentz nickte schwer. »Man hat auch als noch so guter Arzt die Versuchung, solche Dinge zu vereinfachen und auf einen bekannten Nenner zurückzuführen. Leider.« Er sah Rita an und lächelte. »Rita ist über den Berg, Herr Gerholdt. Zufrieden mit mir?«
    Gerholdt senkte den Blick. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Worte sind so dumm …«
    Prof. Sentz beschäftigte sich mit der Fiebertabelle und sah schräg zu Gerholdt hinüber.
    »Sie sollten wieder heiraten.«
    Gerholdts Kopf fuhr herum.
    »Nie, Herr Professor.«
    »Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte keinerlei Pietätsgefühle verletzen. Ich glaube, daß Sie Ihre Frau sehr geliebt haben. Aber das Leben geht weiter … heute ist Ihr Kind fast zwei Jahre … wie schnell wird es drei – sechs – zehn Jahre alt sein. Und einmal kommt der Augenblick, wo es eine Mutter brauchte, wo ein Vater allein nicht ausreicht. Leider ist es so. Väter haben immer etwas Souveränes für ein Kind an sich, etwas Unnahbares, Respektheischendes, was viele Kinder – vor allem aber Mädchen ab eines bestimmten Alters – davon abhält, sich ganz und gar seelisch dem Vater zu offenbaren. Hier ist es die Mutter, die alles und immer versteht. Hier ist die Mutter allein die Vertraute, die Ausgleichende, die Ratende. Der Vater ist die Autorität … die Mutter wird zur Freundin, zur Mitverschworenen. Und deshalb sollten Sie bald, recht bald daran denken, wieder zu heiraten. Wenn Rita beginnt, ihre Umwelt mit Verstand zu begreifen, wenn das Erinnerungsvermögen einsetzt, wenn sie aus dem Babyalter in das des denkenden Kindes tritt, soll sie eine Mutter vorfinden, die ihren weiteren Lebensweg begleitet.« Prof. Sentz legte die Fieberblätter hin. Sein Blick war gütig und doch ernst. »Sie verstehen mich, Herr Gerholdt.«
    »Ja, Herr Professor. Nur wüßte ich nicht, was ich Rita an Vertrauen nicht geben könnte.«
    »Sie, mein Lieber! Aber ein Kind, ein Mädchen vor allem, empfindet anders. Ein reifendes Menschenleben ist psychologisch zarter und empfindsamer als die zarteste Pflanze. Da können wir Männer noch so zartfühlend sein – wir bilden uns ein, es zu können –, wir werden nie so ganz und gar den Blick ins Innere unserer Töchter tun wie die Mutter.« Prof. Sentz lächelte und nickte Gerholdt zu. »Glauben Sie es mir … ich habe selbst drei Töchter. Alle drei hatten ihre großen und kleinen Probleme … ich erfuhr sie erst von meiner Frau. Bei den Söhnen ist es genauso. Zum Vater kommen sie, um Geld zu pumpen, oder wenn sie etwas ausgefressen haben … aber das seelische Vertrauen schenken sie der Mutter. Das ist ja das große Geheimnis der Mütter: sie sind der Mittelpunkt der Welt!«
    Am Abend dieses Tages saß Frank Gerholdt in seinem Zimmer und dachte an seine Mutter. Sie starb an Schwindsucht, kurz nachdem er seine Gesellenprüfung als Schlosser gemacht hatte. Er hatte sie in Erinnerung, daß sie klein und schmal war, viel weinte, sich auflöste in ein Nichts. Ihr Sarg war so leicht, daß er ihn hätte allein tragen können. Mutter … sie war immer still gewesen, immer um ihn herum, sie hatte nie geschimpft, sich nie beschwert, nie einen Wunsch geäußert. Und als sie starb, hatte er alles verkauft und war nach Hamburg gefahren. Er hatte innerlich unter der Dumpfheit seiner Umgebung gelitten und war nun froh, nach Hamburg zu kommen, in eine Weltstadt, die er erobern konnte, mit zwei gesunden Händen und ein bißchen Verstand. In Hamburg aber war er auch zum Verbrecher geworden. Zu einem Wild, das noch

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