Schicksal aus zweiter Hand
Irene wischte ihn mit ihrem Taschentuch auf und nahm ihm die Flasche aus der Hand.
»Es wird alles anders werden«, sagte sie. Mitleid und Verstehen lagen in ihrer Stimme. Sie streichelte Gerholdt über das Haar und küßte ihn innig auf die Lippen. »Du bist so ganz anders als damals, als du in Uniform zu mir ins Lokal kamst und so frech warst und anmaßend wie alle Männer, die etwas von mir wollten. Vielleicht ist es gut und wirklich Schicksal, daß wir uns kennengelernt haben.«
»Bestimmt, Irene. Bestimmt.«
Später brachte er sie mit seinem Tempowagen nach Hause. Sie wohnte bei einer verheirateten Schwester in Sülz. Ehe sie aus der Führerkabine stieg, küßte sie Frank noch einmal mit einer Hingebung, die ihm den Atem raubte.
»Bis übermorgen«, sagte sie leise an seinen Lippen. »Warte wieder am Eingang des Stadions. Um acht Uhr …«
Dann war er allein und fuhr langsam durch die nachtstillen Straßen der Außenviertel nach Riehl zurück. Er fühlte noch ihre Lippen und spürte den Geschmack ihres Lippenstiftes auf seiner Zunge. Wie Kirschen, empfand er. Süßlich und doch herb.
Würde Irene eine neue Mutter für Rita sein?
Er hielt den Wagen an, zündete sich eine Zigarette an und blickte hinaus in die Nacht.
Eine ganze, vollkommene Familie würden sie sein. Frank, Irene, Rita Gerholdt. Es würde ein herrliches Leben werden, ein vollendetes Glück, eine Erfüllung des Lebens.
Am anderen Morgen kaufte er sich ganz früh den Stadt-Anzeiger und fuhr mit seinem Tempowagen kreuz und quer durch Köln. Der Anzeigenteil der Zeitung lag neben ihm.
Er suchte eine neue Wohnung für Rita und Irene …
Die Rechnung Herrn Bergers, daß der Eintritt Gerholdts in die Partei von großem Nutzen für seine weitere geschäftliche Entwicklung sein konnte, ging schneller auf, als es selbst Gerholdt erhofft hatte. Er stanzte jetzt aus großen, zusammengerollten Feinstahlbändern, die ihm das Hauptwerk anlieferte, eine bestimmte Sorte Federn, die verdächtig nach Gewehrfedern aussahen, nach Schlagbolzenspannern und anderen äußerst zum Nachdenken reizenden Verwendungszwecken. Gerholdt kümmerte das nicht … er produzierte, was verlangt wurde, er sah nur, daß es aufwärtsging und daß einmal der Tag kommen würde, an dem er in einem eigenen schönen Heim Irene Hartung als seine Frau umarmen konnte.
Mittwochs absolvierte er seine SA-Heimabende. Er stand stramm, er hörte die Führerparolen an, er sang neue Lieder, er übte im Grüngürtel, auf einer großen Wiese, einen Vorbeimarsch mit Stechschritt und Augen rechts, die linke Hand am Koppel, die rechte weit durchschwingend, Sturmriemen unter dem Kinn, das energisch weit vorstehen mußte. Er machte alles mit. Warum nicht? Man schaffte sich Verbindungen, man verschaffte sich Ansehen, man konnte geschäftlich weiterkommen. In seinem SA-Sturm war auch ein Außenhandelskaufmann. Rottenführer. Er nahm eines Abends Gerholdt nach dem Dienst zur Seite und zog ihn in eine stille Wirtschaft am Rande Zollstocks.
»Du machst doch Federn?« fragte er. Dabei bot er Gerholdt eine Zigarre an und bestellte zwei Kognaks.
»Ja. Als Zubringerfirma für die Zollstocker Walzwerk AG.«
»Du solltest dich selbständig machen. Immer für die anderen arbeiten!«
»Dazu brauche ich Maschinen. Betriebskapital. Aufträge.«
»Idiot!« Der SA-Kamerad tippte an seine Stirn. »Sieh mal … ich liefere deutsche Halbfertigwaren nach dem Orient. Türkei, Arabien, Ägypten … das sind unsere besten Kunden. Sie zahlen zwar säumig, aber die Regierung gibt eine Bürgschaft. Wir verlieren nichts, und das Devisenkonto des Staates wächst von Monat zu Monat! Wie wäre es, wenn du für mich Federn lieferst? Gerade im Orient sucht man gute Stahlwaren.«
Gerholdt sah den Exportkaufmann sinnend an. »Das wäre schön«, sagte er leise. »Aber ich bin durch die Aufträge der Walzwerk AG voll ausgelastet.«
»Ausgelastet ist ein deutscher Kaufmann nie! Wir werden neue Maschinen anschaffen und den Betrieb ausbauen!«
»Und wer bezahlt das?«
»Unser guter Adolf, mein Lieber! Staatskredite für politisch wichtige Lieferungen! Laß mich das nur machen … ich besorge dir die Gelder, und du produzierst. Ich kenne die Türen, die man aufstoßen muß und hinter denen die Geldsäcke stehen. Wir kommen jetzt in eine Konjunktur hinein, mein Junge! Es tut sich Großes in Deutschland! Ich sage nur ein Wort: Aufrüstung!«
»Quatsch!« Gerholdt starrte den SA-Kameraden an. »Die Versailler Verträge …«
»Alte
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