Schicksal aus zweiter Hand
begraben.«
»Sie haben das Geld gehabt?« Irene Hartung preßte die vollen Lippen zusammen. »Sie sind doch ein ekelhafter Kerl!«
Lachend verließ Gerholdt das Lokal. Draußen rannte er wie ein übermütiger Junge, pfiff und schlug mit einer abgerissenen Gerte durch das Laub. Vor dem Stadion kletterte er in seinen Tempo-Lieferwagen und ratterte zurück nach Köln zu seiner Baracke, in der seine drei Arbeiter an den Maschinen standen und Federn stanzten.
Irene heißt sie. Irene Hartung. Was wird sie sagen, wenn sie von Rita erfährt?
Der Gedanke trübte seine große innere Freude. Er fuhr langsamer und hielt vor einem Spielwarengeschäft an. Er kaufte eine große Puppe und neue, bunte Bausteinchen. Irgendwie hatte er das Gefühl, mit dem heutigen Tag Rita verraten zu haben. Das tat ihm weh, und auch die schönen gekauften Spielzeuge konnten in ihm das Gefühl einer Schuld nicht vertreiben.
Hatte Frau Möllen schon den Beitritt Gerholdts zur SA mit einem Kopfschütteln begleitet, so geriet sie vollends aus dem Häuschen, als am nächsten Sonntag abend Gerholdt in einem neuen Anzug in der Küche erschien und nach einem sauberen Taschentuch fragte. Frau Möllen musterte ihren Untermieter kritisch … neuer Anzug, neues Hemd, neuer Schlips, Haare frisch geschnitten. Sie seufzte tief.
»Wenn ein Mann zum Verschwender wird, steckt eine Frau dahinter!« sagte sie grob. »Stimmt's?!«
»Erraten, Frau Möllen!« Gerholdt strahlte sie an. Frau Möllen empfand dieses Glück als eine persönliche Beleidigung und trat zwei Schritte zurück.
»Es mußte ja einmal so kommen!« stellte sie laut fest. »Die Frau tot, das kleine Wurm in Pflege, der Vater in Arbeit, endlich mal etwas Geld in der Tasche – und hupp – da kommen die Weiber und ziehen es wieder heraus!«
»Es handelt sich hier um kein Weib, Frau Möllen, sondern um ein nettes, bescheidenes Mädchen.«
»Ist ein Mädchen etwa kein Weib, he?«
»Nicht in dem Sinne, in dem Sie es meinen! Irene ist fleißig, sauber, anständig, lieb, unschuldig …«
»O Gott, o Gott! Noch mehr?! Man sollte euch Männer dauernd ohrfeigen, daß ihr immer auf so etwas hereinfallt! Aber bitte, bitte – rennen Sie zu Ihrer Irene! Kaum ein bißchen Geld, und schon kommen die Weiber dran! O Gott!«
Sie warf ihm ein sauberes Taschentuch hin und wandte sich dann ab. Klappernd schob sie die Töpfe auf dem Herd hin und her, würdigte Gerholdt keines Blickes mehr und brummte Worte vor sich hin, die er nicht verstand, die aber deutlich Ausdruck ihres tiefsten Mißfallens waren.
Pünktlich um acht Uhr abends stand er vor dem Eingang des Stadions auf dem großen Parkplatz und wartete auf Irene. Er hatte seinen Tempowagen auf Hochglanz gebracht. Gewaschen, poliert, die Ladefläche mit weißem Sand bestreut, die Sitze in der engen Kabine mit einer Decke belegt – Irene konnte zufrieden sein.
Zehn Minuten nach acht, als er schon verzweifelte und die sechste Zigarette angeraucht und wieder fortgeworfen hatte, sah er sie über den Weg kommen, der zwischen Büschen sich hindurchwindend bis zu dem Lokal führte. Sie hatte einen leichten blauen Mantel an, Schuhe mit hohen Absätzen, ein weites Kleid, das um ihre schlanken Beine wippte und kreiselte. Ihr Gang war fast ein Trippeln, zierlich und zerbrechlich anzusehen wie der Menuettschritt einer Rokokofigur. Die Haare trug sie offen, ohne Mütze, ohne Hut, ein lustiger Lockenkopf, der jetzt emporfuhr und lachte, als sie ihn an seinem Wagen bemerkte.
Frank Gerholdt lief ihr entgegen und streckte ihr beide Hände hin.
»Ich hatte solche Angst, daß Sie nicht kommen«, sagte er. Es klang, als habe sie ihn von einer großen Last befreit.
Irene Hartung schüttelte den Kopf. Ihr unbefangenes, jugendfrisches Lachen nahm Gerholdt in sich auf wie den Duft starker Blüten, den er nie vergessen würde.
»Was ich verspreche, halte ich.« Sie sah den Tempowagen an und schielte zu Gerholdt hinüber. »Geliehen oder wirklich Eigentum?«
»Ehrenwort: Eigentum!«
»Und das ist Ihr einziger Wagen? Sie haben keinen anderen, großen Wagen? So einen Privatwagen?«
»Nein.« Er öffnete die Tür und kletterte hinter das abgegriffene Steuerrad. »Warum sind Sie eigentlich so kritisch und vorsichtig, Fräulein Hartung?«
»Weil ich wenig Männer kenne, die ein Mädchen wie mich nicht anschwindeln. Nur, um etwas zu erreichen. Die einen machen sich größer, die anderen machen sich kleiner … am Ende wollen sie mich.«
»Und für so einen Strolch halten Sie
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