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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mich auch?«
    »Ich weiß nicht …« Sie stieg in das enge Führerhaus und schloß die Tür. Sie saßen jetzt nahe zusammen … ihre Arme berührten sich, ihre Schultern … als Gerholdt zur Handbremse griff, strich er an ihren Beinen entlang. Mit ihrem Einstieg war die kleine Kabine von einem zarten Parfüm erfüllt, die Nüchternheit entfloh aus dem Wagen … er weitete sich zu einem luxuriösen Fahrzeug, in dessen Fond die Herrschaften saßen … Frack, große Toilette, Pelze, Brillanten. Gerholdt atmete tief auf und lehnte sich zurück.
    Irene wandte den Kopf zu ihm hin. »Warum fahren wir nicht?«
    »Wissen Sie, daß ich Angst habe?« fragte er leise.
    »Angst? Sie?« Irenes Augen bekamen einen merkwürdigen Glanz. Etwas wie Furcht stand in ihnen. »Wovor haben Sie Angst?«
    »Vor dem heutigen Abend. Halten Sie mich bitte nicht für einen Wahnsinnigen. Es ist nur so, daß dieser Abend eine Wende bedeuten könnte. Es kann sein, daß Sie gleich zu mir sagen: Halten Sie an, ich steige aus! Und dann steigen Sie aus, für immer … und alles wird so bleiben, wie es jetzt ist!«
    Irene nickte. »Ich werde bestimmt aussteigen, wenn Sie anfangen, mich zu belästigen.«
    Gerholdt lächelte gequält. »Diese Angst ist unbegründet. Es ist etwas anderes.« Er stockte und biß sich auf die Unterlippe. Ich muß es ihr sagen, durchfuhr es ihn. Ich kann jetzt nicht Rita verleugnen. Es wäre gemein, es wäre ein Rückfall in die Zeit, die ich vergessen will. Für immer vergessen. »Stellen Sie sich vor, Irene«, sagte er stockend, »ich wäre ein Witwer …«
    Irene Hartung nickte. Sie legte ihre Hand auf Gerholdts Arm. Er empfand es als eine mütterliche, beruhigende Geste.
    »Dann wären Sie mir lieber als ein junger Bursche. Dann kennen Sie das Leid, einen Menschen zu verlieren. Und Sie haben vor allem Achtung vor der Frau, was vielen Männern fehlt.«
    Gerholdt wandte das Gesicht zur Seite. Wie gemein das alles ist! Wie verlogen! Wie teuflisch von diesem Schicksal! Nichts als Lüge – das wird mein ganzes Leben sein. Nur Betrug an anderen Menschen, Betrug an Rita, Betrug an mir selbst. Das ist die Strafe Gottes, nie ruhig und zufrieden zu werden wie Millionen andere Menschen.
    »Es ist nicht alles, Irene«, sagte er leise.
    Sie nickte wieder und ließ ihre Hand auf seinem Arm liegen. »Ich ahne es, Herr Gerholdt. Sie haben ein Kind.«
    »Ja, Irene. Ein Mädchen, Rita.«
    »Und dieses Mädchen braucht eine Mutter – – –«
    »Ja, Irene – – –«
    Sie sah aus dem kleinen Fenster hinaus auf die dunkle Straße und die schwarze Wand des Stadtwaldes. Sie blickte auf die erleuchteten Fenster der gegenüberliegenden Häuser und dann die Straße hinab. Haus an Haus, Fenster an Fenster … Tausende von Fenstern. Hinter ihnen lebten die Menschen, junge und alte, gesunde und gebrechliche, liebende und sich hassende, gebärende und sterbende, hoffende und hoffnungslose, glückliche und trauernde. Menschen wie sie und Frank Gerholdt.
    »Fahren wir«, sagte sie leise. »Wir haben einen ganzen, langen Abend Zeit …«
    Knatternd sprang der Motor an. Als sie anfuhren, wurde sie gegen Gerholdt geschleudert, ihr Kopf lag an seiner Schulter, und ihre Locken kitzelten an seiner Wange. Er saß kerzengerade und rührte sich nicht. Mit starrem Gesicht lenkte er den Wagen durch die Nacht. Und sie ließ den Kopf an seiner Schulter liegen und fuhr mit ihm dahin, mit einem Lächeln um die Lippen und dem Wissen im Herzen, daß ihn das glücklich machte wie nichts auf der Welt.
    Der Abend verlief harmonisch, so wie ein Abend zu verlaufen hat, wenn zwei junge Menschen zum erstenmal miteinander ausgehen und hoffen, daß dieses Zusammentreffen nicht das letzte bleibt, sondern der Beginn einer schönen, gemeinsamen Zeit ist.
    Sie hatten in einem kleinen Lokal zu Abend gegessen, waren dann in die Stadt gefahren und hatten getanzt, eine Flasche Wein getrunken, und sie hatten sich in der Ecke in einer kleinen, intimen Bar nahe der Hohen Straße zum erstenmal geküßt, ganz zart, ganz vorsichtig, so, als müsse dieser Kuß beweisen, daß er nicht aus Leidenschaft und schnell wieder verlöschender Begierde gegeben wurde, sondern aus einer inneren Regung heraus, aus einer Mitsprache des Herzens, aus einem echten Gefühl für die Verbundenheit, die dieser Kuß zwischen ihnen auslöste.
    Dann hatten sie selig der Musik gelauscht, Hand in Hand, zwei Verliebte wie aus einem Bilderbuch romantischer Maler. Irene hatte den Kopf wieder an seine Schulter

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