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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kamellen! Wer wird sich jetzt noch darum kümmern wollen? Wir sind jetzt an der Macht, und wir werden der Welt einmal zeigen, was es heißt: Deutschland erwache! Wir werden so erwachen, daß die anderen nichts tun können, als schleunigst schlafen zu gehen. Die Welt gehört uns! Mensch, das mußt du doch gemerkt haben! Wozu haben wir unsere Schulungsabende?«
    »Natürlich.« Gerholdt nickte. Er verstand von dem gar nichts. Er hörte nur einen Schwall von Worten, hochtrabende Worte, die jeden Samstag aus dem Radio klangen und nicht anders waren als das, was der SA-Rottenführer ihm gegenüber sagte. Aufbau der Nation. Befreiung von den Ketten aller entehrenden Verträge. Das Erwachen des völkischen Geistes. Die Fahne hoch … »Wenn du mir Aufträge besorgst und das Geld für die neuen Maschinen, will ich mir die Sache überlegen«, sagte Gerholdt vorsichtig.
    »Überlegen! Kerl – was ist da noch zu überlegen! Die Aufträge liegen bei mir auf dem Tisch! Und wem gäbe ich sie lieber als einem alten SA-Kameraden. Dazu noch aus meinem Sturm. Und wegen des Geldes, mein Lieber – keine Sorgen. In zwei Monaten stehen die neuen Maschinen da!« Er hob sein Kognakglas empor und stieß mit Gerholdt an. »Auf den Orient, Kamerad! Auf die neue Zeit!«
    Sie tranken ex und kamen in Stimmung. Erst gegen Morgen kam er nach Hause, ein wenig schwankend, mit einem schalen Geschmack in der Kehle. Frau Möllen war schon auf und kochte für Rita den ersten Schokoladenbrei.
    »So ist's richtig!« sagte sie und rührte wie wild in dem Topf herum. »Erst 'n Mädel anschaffen, dann nachts herumstrolchen und dann noch besoffen nach Hause kommen! Die Männer sind doch alle gleich, wenn se mal ein paar Piepen in der Tasche haben …«
    Ohne eine Antwort schlich sich Gerholdt in sein Zimmer und warf sich angekleidet auf das Bett. Er starrte an die fleckige Decke, auf der sich die ersten Schimmer der Morgensonne ausdehnten, in Streifen aufgelöst durch die Streifen der Gardine. Es sah wie das Schattenbild eines Zellenfensters aus … wie das Gitterfenster in einem Zuchthaus.
    Gerholdt schnellte von seinem Bett empor. Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare und über das plötzlich schweißnasse Gesicht. Zuchthaus! Der ganze Jammer seines Lebens sprang ihn an. Das Nichtvergessenkönnen, das Gejagtwerden griff wieder nach seinem Herzen.
    Konnte man nie der Vergangenheit entfliehen? Gab es nie ein Heute, ein Morgen, immer nur ein Gestern, das einen verfolgte und niederdrückte?
    Durfte man nie eine Hoffnung haben?
    Er starrte wieder an die Decke. Die Streifen verdickten sich. Unentrinnbar wirkten sie, unzerbrechlich … Gitter, die sein ganzes Leben umschlossen.
    »Nein!« sagte er laut. »Nein! Nein!«
    Er sprang auf, raste zum Fenster und riß die Gardine zur Seite. Sie blieb in seinen zitternden Händen, er fetzte sie von der Stange und warf sie in die Ecke. Dann fuhr er herum und sah wieder zur Decke. Sie war glatt … voll schien die Sonne darauf … die Gitter waren fort, aufgelöst in Licht und Wärme.
    Tief atmend stand er am Fenster, die Fäuste vor der Brust.
    »Gebt mir weiter eine Chance«, sagte er leise. Er wußte nicht, zu wem er sprach, aber es war wohltuend, die Worte zu hören, den Klang der Stimme, die Auflösung seiner Erregung in vernehmbare Gedanken. »Ich will alles tun, ein anständiger Mensch zu werden. Nur gebt mir die Zeit dazu … bitte … bitte.«
    Am nächsten Abend sprach er mit Irene darüber.
    »Ich würde mich nicht zu sehr von der Partei abhängig machen«, meinte sie nach einer Weile des Nachdenkens. »Alles im Leben hat immer zwei Seiten. Hinter der Großzügigkeit dieses Angebotes verbirgt sich etwas anderes.«
    »Du siehst zu schwarz, Irene.« Gerholdt war in froher Laune. Er hatte am Vormittag mit dem SA-Kameraden telefoniert und dabei erfahren, daß allein aus der Türkei ein Auftrag vorlag, der einen Reingewinn von zwanzigtausend Mark garantierte. »Was soll er für Hintergründe haben?«
    Irene sah auf ihre schmalen, durch das viele Spülen der Gläser etwas geröteten Hände. »Ein Gast erzählte gestern, daß sie in Thüringen Gewehrläufe herstellen. Er hat es selbst gesehen. Er ist Vertreter für optische Instrumente.«
    »Na, und?«
    »Warum stellt man heimlich Gewehre her? Mir ist das alles etwas unheimlich, Frank. Wer Gewehre herstellt, wird sie auch einmal gebrauchen wollen.«
    Gerholdt hob die Schultern. »Es geht eben ein neuer Wind durch Deutschland«, sagte er. Aber während er es

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