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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aussprach, bemerkte er die Hohlheit der Worte. Er plapperte die Parolen der Schulungsabende nach, die Leitartikel Goebbels' aus dem ›Völkischen Beobachter‹. Irene sah ihn mit schrägem Kopf an.
    »Du bist zu sorglos, Frank. Du stürzt dich in ein Abenteuer, das vielleicht ein paar Jahre gutgehen kann … aber was kommt dann?«
    »Wir haben eine neue Nation, Irene. Hitler sagt, daß unser Reich tausend Jahre bestehen wird!«
    »Sprich doch nicht solch einen Blödsinn nach.«
    »Irene –«
    Gerholdts Stimmung sank etwas. Daß Irene seine Pläne nicht guthieß, enttäuschte ihn. Vielleicht sah sie alles aus dem Blickwinkel ihrer Theke, hinter der sie stundenlang stand und Bier abzapfte und Schnaps in kleine, runde Gläser goß. Sie hatte noch nie mit industriellen Planungen zu tun gehabt, mit dem Weitblick über Jahre hinaus.
    Industrielle Planungen! Wie das klang. Gerholdt mußte trotz seiner Enttäuschung lächeln. Vor drei Jahren stand er noch um fünf Uhr morgens am Hamburger Hafen und bettelte um ein paar Stunden Arbeit in den Silos. Zweizentnersäcke schleppen, Kisten, Juteballen, Kartons, Fruchtkörbe. Wenn er dann auf dem Lohnbüro die Hand aufhielt, warf ihm der Boß ein paar Mark hinein, die gerade ausreichten, den nötigsten Hunger zu stillen. Und jetzt – industrielle Planungen.
    »Du bist ein kleines Schaf«, sagte er milde gestimmt zu Irene. »Man sollte dich tatsächlich mit solchen Dingen nicht belästigen, sondern dir nur sagen: ich liebe dich! Und wenn du mir nicht sofort einen Kuß gibst, schreie ich!«
    »Kindskopf.« Sie beugte sich über den Tisch und hauchte ihm einen Kuß auf die Augen. »Zufrieden?«
    »Du hast dich um eine Etage geirrt.«
    Sie lachte und küßte ihn auf die Lippen. Ganz schnell, fast verschämt, denn sie waren nicht allein im Lokal und konnten beobachtet werden.
    »Ich habe noch eine Überraschung für dich«, sagte Gerholdt. Umständlich, um es besonders spannend zu machen, öffnete er seine Brieftasche und entnahm ihr einen blaugrünen Zettel mit vielen Schnörkeln und Zahlen. Fast feierlich legte er ihn auf den Tisch. Irene schüttelte lachend den Kopf.
    »Ein Los?«
    »Norddeutsche Klassenlotterie. Kein achtel, kein viertel, ein halbes Los!« sagte er stolz.
    »Verschwender!«
    »Wenn wir gewinnen, dann –«
    Sie hob schnell die Hand und legte sie ihm auf den Mund. »Keine Pläne machen, Frank. Nicht im voraus sagen: das wird gemacht. Dann gewinnst du nie! Das Glück kommt unverhofft. Es überrascht. Selten kommt es zu denen, die auf es warten.«
    »Ich wollte nur sagen: dann wird sofort geheiratet!«
    »Und wenn du nicht gewinnst? Nie gewinnst?«
    Gerholdt nahm ihre Hand und küßte sie. »Dann heiraten wir auch. Nächstes Jahr, wenn die neuen Maschinen arbeiten.«
    Irene nahm das Los und betrachtete es.
    Nr. 23 68 45.
    »Es muß Glück bringen«, sagte sie versonnen. »Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt und wohne in einem Haus mit der Nummer 45.«
    »Und ich in Nr. 68.« Gerholdt sah erstaunt auf das Los. »Man sollte nie abergläubisch sein … aber merkwürdig ist es doch.«
    »Ein Zufall, ein ganz dummer Zufall.«
    Er nahm das Los aus Irenes Hand und steckte es wieder in die Brieftasche.
    »Wenn es gewinnt –« setzte er zum Sprechen an, aber sie hob wieder die Hand und schüttelte den Kopf.
    »Nicht davon sprechen! Es gewinnt bestimmt nicht!« Sie blinzelte ihm zu. Er nickte und sprach ihr nach.
    »Es gewinnt bestimmt nicht.«
    »So ist es gut.« Ihre Stimme war klein wie bei einem Kind. »Das Glück soll gar nicht merken, daß wir auf es warten.«
    Er nahm wieder ihre Hand und küßte sie. In diesem Augenblick wußte er, wie tief er Irene liebte, und daß es neben Rita nun auch sie gab, für die es sich lohnte, zu leben und ein anderer Mensch zu werden.
    *
    Der Exportkaufmann und SA-Kamerad hielt Wort. Vierzehn Tage später erschienen bei Gerholdt in der Fabrikbaracke drei Herren und wünschten den Chef zu sprechen. Sie hatten alle drei das Parteiabzeichen deutlich auf dem Revers ihrer Anzüge, und ihre Haltung drückte aus, daß sie stramm und halbmilitärisch dachten und sich bewußt waren, Träger einer neuen Idee zu sein, die einmal die Idee der Welt sein sollte.
    Frank Gerholdt führte sie in die Ecke der Baracke, wo er einen Schreibtisch stehen hatte und die ihm als Büro diente. Die Ecke war abgeteilt durch einige Spinde, ein paar Ordner standen herum, eine alte, gebrauchte Schreibmaschine, vier einfache Stühle und eine Flasche mit

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