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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gelehnt; sie tranken den Wein aus einem Glas und waren glücklich wie beschenkte Kinder.
    Aus dieser seligen Stimmung schreckte ihn eine Frage empor. Sie kam so plötzlich, sie schnitt so sehr den Traum in die Wirklichkeit zurück, daß er zusammenzuckte und zunächst, wie erwachend, nicht wußte, wo er sich befand, als er ihre Stimme hörte.
    »Wie alt ist deine Tochter, Frank?«
    »Meine – ach ja.« Er atmete tief und war wieder der Frank Gerholdt, der aus den Slums Hamburgs geflüchtet war, um ein neues Leben aufzubauen. »Fast zwei Jahre.«
    »Hast du kein Bild von ihr bei dir?«
    »Nein.« Er schämte sich, daß er nein sagen mußte. Natürlich hätte er ein Bild bei sich haben müssen. Alle Väter haben ein Bild ihrer Kinder in der Brieftasche oder in einer durchsichtigen Seitenklappe des Portemonnaies. An solchen Kleinigkeiten sah er, wie viel ihm an der wirklichen Vaterschaft fehlte, und er schämte sich vor sich selbst, daß er so nüchtern war und Rita so schlecht behandelte. »Ich werde es dir das nächste Mal zeigen«, versprach er ihr.
    »Und wer ist jetzt bei ihr?«
    »Meine Wirtin. Eine gute, alte, dicke Frau, die rührend für Rita sorgt.«
    »Keine junge, hübsche, schlanke Frau, Frank?«
    »Schon eifersüchtig, Irene?«
    Sie lächelte und nickte an seiner Schulter. »Sehr, Frank. Ich bin überhaupt sehr, sehr eifersüchtig. Du kennst mich noch nicht! Ich bin ein Biest, wenn ich eifersüchtig bin!«
    »Ein süßes Biest.«
    »Aber mit Krallen! Mit ganz, ganz scharfen, spitzen Krallen! Wie eine Löwin. Damit zerkratze ich dir das Gesicht.«
    Er lachte und nahm ihre Hand. Er küßte ihre Finger, jeden einzeln, und sie legte sie ihm auf die Lippen und grub ganz leicht ihre Nägel in seinen Mund.
    »Spürst du die Krallen?« flüsterte sie in sein Ohr.
    »Sie machen mich willenlos«, sagte er schwer atmend.
    Sie nahm die Hand von seinem Mund und war plötzlich nüchtern und irgendwie unnahbar.
    »Ich möchte Rita sehen«, sagte sie, als habe sie den Entschluß so fest gefaßt, daß sie gleich weggehen wollte, um ihren Willen auszuführen.
    Gerholdt verkrampfte die Hände. »Sprich jetzt nicht von Rita«, sagte er gepreßt. Es war ein körperlicher Schmerz, dies zu sagen, aber er sprach es aus, weil die Nähe Irenes ihn fast betäubte. Wann hatte ich zum letztenmal ein Mädchen im Arm, dachte er und glühte innerlich. Vor zweieinhalb Jahren. In Hamburg! Ich hatte vierzehn Tage Arbeit bekommen und dreißig Mark gespart. Damit ging ich über die Reeperbahn … eine ganze Nacht. Lilo hieß sie, und sie war blond, üppig, mit wippenden Hüften und einem frechen Mund. Und sie war nicht billig … als ich sie verließ, hatte ich das halbe Geld bei ihr gelassen! Pfui Teufel … das war die letzte! Vor zweieinhalb Jahren! Drei Stunden in einem muffigen Zimmer, mit einem alten Eisenbett, einem Krug Wasser, einer Waschschüssel und einem Geruch nach kaltem Rauch und abgestandener Geilheit. Und nun Irene … dieses Mädchen, das so rein war, das seine Berührung beschmutzen mußte und die nicht ahnte, wer neben ihr saß. Der steckbrieflich verfolgte Frank Gerholdt, der Kindesräuber, der moralische Mörder von Herrn von Buckow und seiner Frau Renate. Der Gejagte, sich Verbergende, aber auch der Bereuende und Sühnende.
    Er legte den Arm um Irenes Schulter und zog ihren Kopf zu sich heran.
    »Laß uns von uns sprechen. Wenn ich dich sehe, kann ich nichts anderes denken als Irene … Irene … Es ist wie ein Rausch.«
    »Hast du ein Bild von deiner Frau?« fragte sie sanft.
    »Ja«, log er. Er küßte sie auf die Wange und auf die Beuge des Halses.
    »Ich möchte es sehen. War sie hübsch?«
    »Ja.«
    »Hübscher als ich?«
    »Anders. Sie war groß, schlank, blond, stolz.« Er dachte an Renate von Buckow. Jetzt mache ich sie geistig zu meiner Frau. Wie abscheulich ich bin. Wie geschmacklos. Er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. »Sie war aus einer guten Familie«, sprach er tonlos weiter. »Sie war aus dem Norden. Kühl und steif …«
    »Und du warst glücklich mit ihr?«
    »Ja«, antwortete er gequält.
    »Woran starb sie denn?«
    »An einer Rippenfellentzündung«, setzte er die Reihe seiner Lügen fort. Er erinnerte sich, diese Lüge zum erstenmal bei Dr. Manger in der Universitäts-Kinderklinik gebraucht zu haben. Man hatte sie ihm geglaubt.
    »Liegt sie hier in Köln begraben?«
    »Nein. In Kiel.«
    Er goß sich das Glas wieder voll. Seine Hand zitterte, und er vergoß den Wein auf das Tischtuch.

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