Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
tanzte er in der engen Zelle herum und benahm sich wie ein Irrer.
    »Unser Los!« schrie er. »Irene – unser Los! Hunderttausend Mark! Unser Los!«
    Dann lehnte er den Kopf an die Glasscheibe und fühlte sich schwach werden wie nie in seinem Leben. In seiner Kehle würgte es – er hatte das Gefühl, weinen zu müssen. Laut weinen zu müssen, um Luft zu bekommen in seinem Herzen, das gegen die Rippen schlug, als wolle es aus der Brust springen.
    »Ich komme sofort zu dir«, stammelte er. »Wirf alles hin und komme mir entgegen. Ich glaube, ich werde verrückt, Irene. Ich weiß schon nicht mehr, was ich tue …«
    Er hängte ab und wählte eine andere Nummer. Der Exportkaufmann meldete sich, zackig, laut.
    »Hier Petermann. Heil Hitler!«
    »Heil Hitler!« schrie Gerholdt zurück. Seine Stimme überschlug sich fast. »Von heute ab kannst du mich …!«
    »Wer ist dort?« brüllte Petermann.
    »Gerholdt. Frank Gerholdt. SA-Kamerad Gerholdt!«
    »Bist du plötzlich verrückt geworden?«
    »Vielleicht! Und nun hör einmal genau zu, mein Weltverbesserer: Ich denke nicht daran, auf eure Vorschläge einzugehen. Verstanden?! Ich pfeife auf euer Geld! Und im übrigen gilt für alle das, was ich eben bei der Begrüßung gesagt habe.«
    Petermann schien eine Weile sprachlos zu sein. Dann hörte Gerholdt wieder, wie er auf den Tisch schlug.
    »Bist du besoffen?« schrie Petermann durchs Telefon. »Wo hängst du überhaupt? Schlaf deinen Suff aus und komm morgen zu mir.«
    »Einen Dreck werde ich tun! Ich will mit euch allen nichts mehr zu tun haben. Habt ihr mich verstanden? Laßt mich in Ruhe! Ich pfeife auf eure Protektion! So – und nun tatsächlich l – m – a – A –!«
    »Frank!« brüllte Petermann. Aber Gerholdt hatte bereits eingehängt.
    »Ist der Kerl besoffen«, sagte Petermann grinsend zu seiner Sekretärin. »Hätte ich ihm gar nicht zugetraut, so einen anständigen Suff.«
    Gerholdt wartete am Apparat, bis man in der Personalabteilung Herrn Berger herbeigeholt hatte. Er befand sich in einer Konferenz, aber Gerholdt hatte energisch darauf bestanden, daß er sofort geholt würde.
    »Was ist los, Gerholdt?« brummte Herr Berger sehr unwillig. »Ist Ihre Baracke eingestürzt? Ich habe eine wichtige Konferenz und wenig Zeit. Fassen Sie sich kurz.«
    »Ganz kurz, Herr Berger.« Gerholdts Stimme war fast jubelnd. »Ich wollte Ihnen nur eine Frage stellen.«
    »Eine Frage? Bitte.« Herr Berger schob die Unterlippe vor. Eine Frage! Unverschämtheit, ihn deswegen holen zu lassen.
    Gerholdt lehnte sich genießerisch gegen das Telefon.
    »Sie sprachen vor ein paar Stunden noch von dem Schmied der Nation, der wir alle sein müssen. Vom kleinen Rädchen in der Riesenmaschine! Angenommen, das Rädchen hat die Tendenz, sich selbst zu vergrößern und der Schmied schlägt mit dem Hammer nicht von links, wie man soll, sondern von rechts … was könnte dann geschehen?«
    »Wie bitte?« Herr Berger zwinkerte mit den Augen. »Haben Sie etwas getrunken, Herr Gerholdt?«
    »Ja! Zwei Gläser vom Brunnen der Erkenntnis, gemixt mit einigen Spritzern persönlicher Freiheit. Der Cocktail nennt sich: Unabhängigkeit. Er schmeckt vorzüglich.«
    »Ich verstehe Sie nicht.« Herr Berger sah zu der Stenotypistin hinüber, die ihn gerufen hatte, und legte die Hand auf die Sprechmuschel. »Er ist total betrunken.« Er wollte noch etwas sagen, als das, was er hörte, sein Gesicht verfärbte.
    »Ich stelle Ihnen Ihre vier Maschinen wieder zur Verfügung«, sagte Gerholdt. Seine Stimme klang nüchtern und klar. Ohne Zweifel, er war weder betrunken noch irgendwie geistesgestört. Herr Berger mußte sich setzen. Der kleine Schock nahm ihn sichtlich mit. »Ich entlasse meine drei Arbeiter«, sprach Gerholdt weiter, »gebe die Baracke zurück und erwarte, daß morgen einer Ihrer Wagen kommt und den ganzen Mist hier abholt. Ab morgen mittag ist keiner mehr im Betrieb – ich kann also für die Maschinen nicht garantieren, wenn Sie sie nicht am Vormittag abholen lassen.«
    Herr Berger atmete tief durch. »Gerholdt«, sagte er mit bebender Milde. »Kommen Sie doch bitte zu mir hinaus. Ich glaube, wir besprechen das alles mündlich viel besser.«
    »Auf eine Aussprache mit Ihnen verzichte ich!« Gerholdt kostete die Köstlichkeit seines großen Tages voll aus. Ihr habt mich überfahren, dachte er. Ich sollte ein Werkzeug in euren Händen sein. Ein Objekt, das keine Seele besitzt, sondern nach euren Worten und Gedanken hin und her geschoben wird. »Ich

Weitere Kostenlose Bücher