Schicksal aus zweiter Hand
verschämt und tat sehr geziert. »Das wäre doch etwas, Herr Gerholdt.«
Frank Gerholdt schwieg einen Augenblick nach diesem Wortschwall Frau Möllens in erschütterter Überlegung. Er wußte, Frau Möllen meinte es gut, sie hatte die ganzen Tage darüber nachgegrübelt, was zu tun sei, um den Reichtum zu vermehren. Und sie war als letzte Rettung auf die Wäscherei gekommen, weil ihr Leben über den bestimmten Kreis ihrer Vorstellungswelt nicht hinauskam. Sie war eine gute, liebe Frau, und es war bitter, sie zu enttäuschen. Deshalb suchte er nach einer Erklärung und nach Worten, die nicht weh taten und doch überzeugten.
»Ihr Gedanke ist gut«, sagte er vorsichtig.
»Sehn Sie!« jubelte Frau Möllen. Gerholdt schüttelte leicht den Kopf.
»Aber es geht nicht.«
»Ach –«
»Ich hatte, bevor ich nach Köln zog, in Hamburg eine kleine Fabrik«, log er. »Diese Fabrik ging ein … Inflation, Arbeitslosigkeit, keine Aufträge. Die Auswirkungen des verlorenen Krieges. Ich wurde dann Hilfsarbeiter. Aber immer habe ich im Herzen die Hoffnung getragen, einmal wieder eine solche Fabrik zu gründen.« Er sprach ein wenig dramatisch, um Frau Möllen zu überzeugen und ihre Mentalität anzusprechen. »Und nun – über Nacht – kommt das große Glück zu mir.« Frau Möllen bekam rote Augen. Gleich weint sie vor Rührung, dachte Gerholdt. »Sehen Sie«, sprach er schnell weiter, »jetzt bin ich meinem Ziele wieder nah! Jetzt kann ich meine Fabrik wieder aufbauen. Und darum geht das nicht mit der Wäscherei. Das sehen Sie doch ein …«
Frau Möllen nickte. Sie war ergriffen. »Sie sind ein tapferer und strebsamer junger Mann«, stellte sie leise schluchzend fest. »Wie schade, daß Ihre Frau das nicht miterleben konnte.«
Gerholdt nickte ernst. Er nahm sich vor, das Gespräch schnell abzubrechen. Er wollte nicht mehr an die Vergangenheit erinnert werden, an diese Fülle von Lügen und Gemeinheiten, die sein Leben randvoll auffüllten und die ein unergründliches Schicksal mit hunderttausend Mark krönte.
Als der Kaffee ausgetrunken war und die Tortenberge über Frau Möllens Gaumen entschwunden waren, erhob sie sich, küßte Rita noch einmal schmatzend auf beide Backen und ging. Gerholdt sah ihr vom Fenster aus nach, wie sie zur nächsten Straßenbahnhaltestelle watschelte. Eine dicke, gutmütige, biedere Frau, die glücklich war, eine nette Stunde bei lieben Menschen verlebt zu haben.
Nach diesen vierzehn Tagen Ruhe kam über Frank Gerholdt ein Sturm. Nicht von seiten Herrn Bergers oder Petermanns, nicht von der Partei oder der SA, nicht von der Steuer oder sonstigen staatlichen Stellen, sondern der Sturm lag in einer harmlosen Anzeige verborgen, die Gerholdt eines Morgens in der ›Westfälischen Landeszeitung – Rote Erde‹ las.
›Kleine Fabrik im Rheinland, Kaltwalzerei mit zwei Walzenstraßen, Bahnanschluß und Rheinverladerampe, großer Lagerplatz usw. umständehalber zu verkaufen. Es kommen nur Barkäufer in Frage. Schnelle Angebote unter CF 3478 an die Expedition des Blattes.‹
Eine Fabrik! Eine Kaltwalzerei.
Frank Gerholdt schrieb sofort einen Brief und brachte ihn zu der Anzeigenabteilung. Schon zwei Tage später erhielt er ein Antwortschreiben des kleinen Werkes. Es lag etwas außerhalb Düsseldorfs, nach Duisburg hin. Ein unbekannter Name. Eine Klitsche sicherlich, die völlig veraltet war und nun den Konkurs durch einen schnellen Verkauf abwenden wollte.
Gerholdt setzte sich in seinen Opel P 4 und fuhr den Rhein hinab. Er sagte niemandem von dieser Reise, selbst Irene Hartung nicht. Er wollte sich erst einmal dieses Werk ansehen, ehe er genauer darüber sprach. Vielleicht lohnte sich nicht einmal ein Gedanke.
Nach über drei Stunden Fahrt sah er am Ufer des breit und träge fließenden Rheins ein paar alte, abbröckelnde Ziegelbauten stehen. Zwei Schornsteine ragten in den regnerischen Himmel. Die Verladerampe am Rhein entpuppte sich als ein Eisensteg, der über einem wippenden Ponton lag. Hinter den verschmutzten, blinden Scheiben der beiden Fabrikhallen schien kein Leben mehr zu sein. Daß die Schornsteine rauchten, war fast gespenstisch in dieser Atmosphäre des Verfalls. Das einzige, was groß war und ein wenig reizen konnte, war der Platz um dieses Anwesen herum. Unbebaute Wiesen, ein riesiger Lagerplatz, alles eingezäunt mit Stacheldraht. Wie ein Gefangenenlager.
Frank Gerholdt hielt unten am Rhein neben der Verladerampe und stieg aus seinem Wagen. Er ging zu Fuß, den Kragen seines
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