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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Regenmantels hochgeschlagen, an dem Stacheldrahtzaun entlang und blickte hinüber zu den düsteren, schon fast grau-schwarz gewordenen Backsteingebäuden der Fabrik. Er sah zwei Arbeiter lustlos eine Karre mit einer Eisenplatte über den Hof ziehen. Sie gingen langsam, so als hätten sie viel Zeit und keiner warte auf sie und ihre Eisenplatte. Frank Gerholdt lächelte. Ein Gedanke war ihm gekommen: Das würden sie bei mir nicht machen! Ich würde auf dem Hof stehen und kontrollieren! Ich würde genaue Zeiten einführen! Akkorde, Prämien, Anreize zur schnellen, aber sauberen Arbeit. Ich … ich … Er schüttelte den Kopf und ging weiter.
    Der Eingang zu dem ›Werk‹ war ein altes Eisentor, das schauerlich quietschte, als er die Tür aufdrückte. Ein mit Zementplatten gepflasterter Weg führte zu einem niedrigen Anbau an der linken Halle. Eine Tür, aus hellem Eichenholz, stach grell von dem alten Gemäuer ab. Neben der Tür war ein Schild, aus Emaille, mit verschnörkelten Buchstaben: Comptoir. Ein Schild noch aus der Gründerzeit. Ein Schild, das als einziges schadlos die Jahrzehnte überlebt zu haben schien.
    Gerholdt drückte die Klinke herunter und trat ein.
    Ein kleiner Vorraum, dann ein mit Holz abgeteiltes Zimmer. In der Holzwand drei Schiebefensterchen. Über ihnen mit schwarzer Farbe hingemalt: Kassa – Ausgabe – Buchhaltung.
    Er klopfte gegen das Fenster, über dem Buchhaltung stand, und sah hinter dem Glas einen kugeligen, glatzköpfigen Schädel auftauchen. Auf der dicken Nase zitterte ein Kneifer. Frank Gerholdt schüttelte den Kopf. Er kam sich vor wie in ein Panoptikum versetzt. Er hätte schwören können, daß dieser glatzköpfige Mann noch an einem Stehpult stand und Zahlen in dicke Folianten eintrug wie seine Vorfahren vor fünfzig oder hundert Jahren. Vorbild für Generationen Buchhalter … entsprungen den Romanen Gustav Freytags.
    Das Schiebefenster wurde weggeschoben. Der Glatzkopf beugte sich heraus.
    »Bitte?«
    Gerholdt holte die zusammengefaltete Zeitung aus seiner Manteltasche und hielt die roteingerahmte Annonce unter den zitternden Kneifer.
    »Sind Sie die Anzeige?« fragte Gerholdt.
    »Hm.« Der Glatzkopf musterte den Mann im Regenmantel wie ein Pferd, das zu kaufen ist. »Sie interessieren sich dafür?«
    »Es scheint so.«
    »Und Sie können bar bezahlen?«
    »Vorweg eine Frage: Sind Sie der Chef?«
    »Nein.«
    »Dann bin ich auch nicht verpflichtet, Ihnen über meine finanzielle Lage Auskunft zu geben!« Gerholdts Stimme war hart und befehlend. Der Glatzkopf wurde rot und tauchte vom Schiebefenster weg. »Ich wünsche sofort den Chef zu sprechen!« rief Gerholdt laut.
    In der Buchhaltung wehte ein scharfer Wind kurz durch die Gehirne der drei Männer, die stumm vor Schreck auf das Fenster starrten. Dann eilte der Glatzkopf durch eine hintere Tür aus dem Zimmer, während die beiden Zurückgebliebenen ehrfurchtsvoll auf das Stück Regenmantel sahen, das sie durch das Schiebefenster bemerken konnten.
    Fünf Minuten später saß Gerholdt im Privatbüro des Chefs, dem Besitzer der verfallenen Fabrik, gegenüber. Es war ein kleiner Raum mit Möbeln aus dem vergangenen Jahrhundert. Ein breites Fenster gab den Blick frei auf die rechte Fabrikhalle. Sie schien leer zu sein. Hinter ihr floß der Rhein. Träge, breit, eingehüllt in einen Regenschleier, der wie Nebel dicht über den Ufern hing.
    »Sie kommen wegen der Anzeige, Herr Gerholdt?« Der Chef des Unternehmens, ein kleiner, alter Mann mit schütteren weißen Haaren und einer Brille mit dünnem Goldrand, sah ihn fast bedauernd an. Es war, als wolle er sich entschuldigen, überhaupt das Wagnis ausgeführt zu haben, diese Anzeige in eine Zeitung zu setzen. »Sie wollen mein Werk kaufen?«
    »Das weiß ich noch nicht.« Gerholdt sah sich um. »Viel scheint nicht los zu sein.«
    »Um die Wahrheit zu sagen: Wir sind am Ende, Herr Gerholdt. Nicht, daß wir nicht mehr arbeiten könnten … das ist es nicht. Wir haben an dreiundzwanzig Länder geliefert. Unsere Fabrikate waren bekannt. Uns ging es gut! Aber nun ist alles zusammengebrochen.« Der alte Mann hob die Schultern. »Sie werden es verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß ich Silberbaum heiße.«
    »Silberbaum?«
    »Jakob Silberbaum. Ja.« Der alte, verhärmte Mann nickte mehrmals. »Ab 1932 schon bekam ich keine Aufträge mehr aus dem Inland. Ab 1933 wurden die Exporte für mich gestoppt … wegen Devisenschwierigkeiten, hieß es. Aber die Konkurrenz in Duisburg und Düsseldorf, in

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