Schicksal aus zweiter Hand
den ähnlichen Gedanken hatte wie vor einer Stunde Petermann: Ich mache diesen Kerl fertig! Fix und fertig! Mit allen Mitteln, die uns der Staat und die Partei geben! So ein Lump, so ein Volksfeind, so ein Defätist!
Empört, in seiner nationalen Gesinnung zutiefst getroffen, setzte sich Herr Berger in seinen neuen Mercedes und ließ sich hinaus nach Zollstock zu seiner Fabrik fahren. Woher hat er bloß das Geld, um so aufzutreten, grübelte er während der Fahrt. Vor wenigen Tagen noch war er der kleine Bohrer und Stanzer, der froh war, wenn er Aufträge erhielt. Ein wenig aufsässig war er ja immer. Ein Kind seiner Zeit. Aber so wie heute? So sicher, so siegesgewiß, so souverän?
Herr Berger nahm sich vor, das weitere Leben Gerholdts genau auszuleuchten und auch einmal in die Vergangenheit zu blicken. Vielleicht gab es da einen Punkt, mit dem man ihn treffen konnte. Eine dunkle Stelle, die seine Sicherheit untergrub. Jeder Mensch hat in seinem Leben einmal irgendwo einen Fleck, vor dem er sich schämt.
Herr Berger lehnte sich in die Polster des Wagens zurück. Die Überlegungen befriedigten ihn. Sie glätteten seine moralisch-völkische Empörung. Ich werde ihn vernichten, sagte er sich immer wieder vor. Ich werde etwas ausgraben, was ihn von seinem Thron hinunterstürzen läßt.
Und wenn es ein Jahr dauert! Wir haben ja Zeit, viel Zeit. Wir haben ja das Tausendjährige Reich erst begonnen – – –
Vierzehn Tage lebte Gerholdt unbehelligt in seiner neuen Wohnung.
Rita war glücklich. Sie hatte jetzt ein Kinderzimmer, in dem sie toben konnte, soviel sie wollte. Ein Kindermädchen, das in einer Mansarde des gleichen Hauses schlief, umsorgte sie. Ein Haufen Spielzeug stapelte sich in den Spielschränken. Es gab nichts, was Gerholdt nicht für Rita in den großen Spielwarengeschäften Kölns erstand … die modernsten und teuersten Puppen, Wagen, Schaukeln und Stofftiere schleppte er heran und überschüttete Rita mit diesen Dingen in dem Glauben, mit diesen Äußerlichkeiten das Bewußtsein des Schuldhaften in sich immer mehr zu verdrängen und Rita jetzt das geben zu können, aus dem er sie damals herausgerissen hatte. Er verwöhnte sie, wie nie ein Vater jemals seine Tochter verwöhnt hat. Er ließ ihr die schönsten Kleider anfertigen, kaufte sich einen kleinen, gebrauchten Wagen – einen Opel – und fuhr mit Rita den Rhein hinauf und hinab, den kleinen Augen die Schönheit des Landes zeigend und sie daran gewöhnend, nur das wirklich Schöne des Lebens zu ergreifen und alles Dunkle von sich fernzuhalten.
Auf diesen Fahrten nahm er oft Irene Hartung mit. Rita saß neben ihr, ihr Händchen in der Hand Irenes. Einmal sagte sie sogar ›Mutti‹ zu Irene. Glücklich lächelte sie Gerholdt an.
»Hast du's gehört, Frank?«
»Ja, Irene. Jetzt weißt du, daß du ganz zu uns gehörst.«
Bei einem Glas Wein in Rüdesheim besprachen sie den Termin ihrer Heirat. Er sollte im kommenden Frühjahr sein. Bis dahin wollte Frank etwas gefunden haben, das eine sichere Anlage seiner hunderttausend Mark bedeutete. Ein für alle Zeiten fest gegründetes Leben.
Eine Sparkasse in Köln, bei der Gerholdt seinen Gewinn eingezahlt hatte, bemühte sich ebenfalls rührend um die Anlage des Geldes. Sie schickte Frank Aufforderungen zur Zeichnung von Reichsanleihen. Gerholdt zerriß sie sofort und verfeuerte sie im Küchenherd. Auch Frau Möllen erschien eines Tages mit einem Paket Schokolade und einer kleinen Puppe für Rita. Sie weinte vor Rührung über die ›süße Kleine‹, drückte sie an sich und baute die Schokolade vor Rita auf. Es war genug für vierzehn Tage.
Später, vor einer Tasse Kaffee und einem Berg Sahnekuchen – »Aber, Herr Gerholdt! Wo bleibt meine Linie!« –, taute sie weiter auf und entwickelte Frank einen Plan, wie er sein Geld sicher anlegen könnte.
»Machen Sie eine Waschanstalt auf!« sagte sie fest.
»Was?«
»Eine Wäscherei mit chemischer Reinigung. Da liegt was drin, Herr Gerholdt! Ich werde mit eintreten! Ich komme aus dem Fach! Seit Sie weg sind, ist es so leer in meiner Wohnung, so einsam. Ich renne den ganzen Tag herum und weiß nicht, wie ich die langen Stunden herumkriege! Da habe ich mir gedacht: eine Wäscherei! Das ist es! Ich kann die Wäscherei kontrollieren, ich kann die Hemdbügelei selbst machen. Keine Falte in den Kragen. Glatt wie 'ne Schlittschuhbahn. Und schön gesteift. Mein Seliger sagte immer: Deine Hemden sind ein fast erotischer Genuß. Hihi!« Sie lachte
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