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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einmal in Zeitungen stehen, verblassen mit den Jahren. Nur ein Schemen bleibt zurück … der Nebelschleier verschwommener Figuren in einem registrierenden Gehirn. So wußte auch Dr. Schauchardt nicht mehr, wo er Gerholdt schon einmal gesehen hatte.
    Eine Neueinlieferung auf seiner Station ließ ihn das Suchen nach Erinnerung völlig vergessen. Der Dienst, das tägliche Leben ging weiter …
    Drei Tage später starb Irene Hartung , ohne aus ihrem Koma erwacht zu sein. Gerholdt saß an ihrem Bett und hielt ihre schmalen, schon gestorbenen Hände, bis sich die flache Brust zum letzten, tiefen Atemzug hob. Am Kopfende kniete eine Schwester und betete. Ihr Murmeln war der einzige Laut, der den Raum erfüllte. Dr. Schauchardt stand am Fußende und sah auf das schmale, blasse Gesicht, über das die gelbliche Farbe des Todes glitt.
    Es war ein stilles Sterben. Das Herz setzte einfach aus. Müde und ohne Blutzufuhr flatterte es noch ein wenig, ehe es aufhörte zu klopfen, so wie ein Motor erlischt, wenn der Treibstoff aufhört zu fließen. Der schlanke Körper streckte sich. Über das bisher etwas verkrampfte Gesicht glitt ein tiefer Frieden, eine sichtbare Erlösung von aller irdischen Schwere. Es war, als sähe man die Geburt eines Engels … eine fast fühlbare Seligkeit glitt über den Körper und um den schmalen, bisher zusammengekniffenen Mund.
    Frank Gerholdt zerbrach nicht an diesem Tod. Er saß mit zusammengebissenen Zähnen an dem Bett und hielt die erkaltenden Finger Irenes, bis Dr. Schauchardt die Hand auf seine Schulter legte. Da erst erwachte er aus einer Art Versunkenheit und erhob sich vom Bettrand. Seine Augen waren leergebrannt.
    »Wir hatten keine Möglichkeit mehr, sie zu retten«, sagte der Arzt leise. Die Schwester faltete Irenes Hände auf der Bettdecke und steckte einen kleinen Blütenstrauß, den Gerholdt mitgebracht hatte, zwischen die erstarrenden Finger.
    Gerholdt nickte. »Ihr Gott hat versagt.«
    »Er hat Ihre Braut heimgeholt.«
    Gerholdts Kopf fuhr herum. »Glauben Sie nicht, daß es ihr auf Erden besser gefallen hätte? Sie lebte so gerne. Sie ging ganz auf in den Vorbereitungen für unsere Hochzeit. Sie wollte nicht ›heim‹ – wie Sie es nennen!«
    »Vielleicht hat Gott den besseren Teil erwählt?« sagte Dr. Schauchardt aus einer dunklen Ahnung heraus. Gerholdt schwieg. Er wandte sich plötzlich ab und verließ das Zimmer. Über den Gang rollte bereits die fahrbare Bahre, die Irene in den Waschraum und dann in den Keller bringen würde, wo sie bis zur Aufbahrung in der Leichenhalle bleiben würde. Das Geschäftliche, das einem Tode im Krankenhaus minuziös folgt, nahm seinen Anfang. Die Vorschriften setzten ein, und irgendwo in den vielen Zimmern wartete schon ein anderer Mensch, um in dem kleinen Raum Nr. 46 am Ende des weißen Ganges zu sterben.
    Dr. Schauchardt trat aus dem Zimmer. Sein Gesicht war ernst. »Ich bedaure es sehr«, sagte er vorsichtig, »aber der Tod Ihres Fräulein Braut zwingt uns dazu, nun doch die Kriminalpolizei einzuschalten. Es ist ein Tod als Folge einer starken Körperverletzung. Wir kommen nicht umhin, dies zu melden, denn ich kann den Totenschein nicht anders ausstellen.«
    »Machen Sie, was Sie wollen«, sagte Gerholdt schwach. »Es kommt auf einen Niederschlag mehr oder weniger gar nicht mehr an.« Er sah den Arzt an. Hilflose Qual schrie aus seinen Augen. »Was soll ich nur Rita sagen? Jeden Tag fragt sie: ›Wann kommt denn Mutti wieder?‹ Was soll ich ihr bloß sagen? Zum zweitenmal verliert sie die Mutter –« Gerholdt schüttelte den Kopf, als wolle er die Antwort auf die kommende Frage schon vorwegnehmen. »Ist auch das Gottes Wille?« Er schluchzte. »Was kann so ein Kind dafür –?«
    Dr. Schauchardt musterte Gerholdt erstaunt. »Wofür?«
    »Für die Sünden der Väter.«
    »Sprechen Sie biblisch oder extrem selbstbezogen?«
    Gerholdt winkte ab. Er sah, wie die furchtbare Bahre ins Zimmer geschoben wurde. Das gelangweilte Gesicht des Krankenpflegers machte ihm übel. »Wenn es Gott gibt, wird er wissen, was ich meinte. Überlassen wir ihm das Urteil! Ich werde ihn nie verstehen, wenn er es bejaht.«
    Er verließ die ›Lindenburg‹, bevor man Irene Hartung aus dem Zimmer fuhr, zugedeckt mit einem weißen Leinentuch, ein Körper, der jetzt in den Geschäftsgang der Behörden eingegliedert wurde und am Ende nur noch eine Grabnummer war, eine kleine Parzelle auf dem Südfriedhof von Köln, dem parkähnlichen Ruheort der Toten.
    Am Abend dieses

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