Schicksal aus zweiter Hand
sinken. »Gewonnen?« wiederholte er verblüfft. »Wo denn?«
»In der Lotterie.«
»Alles?«
»Hunderttausend Mark.«
Petermann pfiff durch die Zähne. Aha, dachte er. Das war damals, als der Bursche so renitent wurde und mich zu Boden schlug. Plötzlich war er stark und nicht mehr der kleine Arbeiter, der um Aufträge bettelte und mit der Handkarre bis nach Zollstock zog, um Material abzuholen. Mit hunderttausend Mark im Rücken kann man frech werden!
Einen Augenblick wurde Petermann wieder unsicher. Er dachte an die Worte Herrn Bergers, der ihm gestern sagte: »Wenn Sie es fertigbekommen, diesen Gerholdt auszuschalten, wie, das ist Ihre eigene Sache, dann bekommen Sie für uns die gesamte Balkanvertretung.«
Wie kann man einen Mann ausschalten, der hunderttausend Mark in bar auf der Kasse hat?
Petermann setzte sich wieder in den Sessel. Er sah Irene kritisch an. Ihr Gesicht war von den Schlägen etwas aufgedunsen. Wo die Goldplatte des Ringes ihr Gesicht traf, waren die Stellen jetzt dunkelrot. Auf der linken Backe sah er sogar die Konturen des eingravierten Hakenkreuzes auf der Haut. Wie ein roter Siegelabdruck wirkte es. Wie ein Brandzeichen auf der Kruppe einer Stute. Petermann lächelte leicht.
»Und was macht er in Berlin?«
»Er verhandelt wegen einer Million.«
Petermann verschlug es die Stimme. »Eine Million?!« sagte er schwach.
»Ja. Er hat einen staatswichtigen Auftrag bekommen.« Irene betrachtete Petermann aus den Augenwinkeln heraus. Sie bemerkte seine Unsicherheit. Eine unbändige Wut, vermischt mit einem flammenden Haß, quoll in ihr empor. »Wenn er zurückkommt, wird er Sie für die jetzige Stunde an den Galgen bringen!«
Petermann sah zu den SA-Männern hinüber. Das Wort Staatsauftrag hatte eine magische Wirkung. Sie grinsten nicht mehr. Sie sahen zu Petermann hin und schwankten, ob sie gehen sollten oder gleich warten, bis er abgeholt werden würde. Ein Mann, der in Berlin eine Million bekommt, ist stärker als ein kleiner Petermann, hinter dem nur ein Herr Berger und ein SA-Obersturmbannführer stehen. Petermann spürte die Gefahr und rettete sich in eine feige Schleimigkeit. Er sprang auf und verbeugte sich vor der erstaunten Irene Hartung.
»Ein Mißverständnis, gnädiges Fräulein«, sagte er müde lächelnd. »Ein bitteres, ein unangenehmes, ein fast fatales Mißverständnis. Wir haben geglaubt, daß er irgendwelche Gelder unterschlagen hatte. So etwas kommt vor, auch bei SA-Kameraden. Haha!« Er versuchte ein Lachen, es klang trocken und gequält. »Vergessen Sie bitte diese Stunde. Ich werde mich bei Frank offiziell entschuldigen.«
Mit einer Schnelligkeit, die wie eine Flucht wirkte, verließ er die Wohnung. Es war sicher, daß er sich nie bei Frank entschuldigen würde, denn er verspürte keine Lust, einige Wochen im Krankenhaus zu liegen. Auf der Straße verabschiedete er abrupt die beiden SA-Männer und stieg in seinen Wagen. Von seinem Büro aus rief er Herrn Berger an.
»Na, wie ist's?« sagte Herr Berger gemütlich. »Haben Sie den Kerl abholen lassen?«
»Hören Sie mal!« Petermann ballte die Faust auf dem Schreibtisch. »Wenn Sie dreckige Wanze etwas von Frank wollen, dann gehen Sie gefälligst selbst hin!«
»Petermann!« rief Herr Berger konsterniert. »Welchen Ton –«
»Quatsch!« sagte Petermann breit. »Ich habe mit Ihnen die Nase voll! Wenn Gerholdt erfährt, wer hinter der ganzen Sache steckt, schlägt er Sie tot, Berger. Prost!« Er hängte ab und hinterließ Herrn Berger in Zollstock voller sich widersprechender Gedanken.
Nach dem Weggang Petermanns sank Irene Hartung neben dem Fenster zusammen. Sie sah noch, wie Petermann auf der Straße die beiden SA-Männer wegschickte, wie er in seinen Wagen kletterte und abfuhr. Dann taumelte sie, wollte sich an der Gardine festhalten und fiel zu Boden. Sie lag fast eine Stunde bewußtlos, ehe sie von einer Nachbarin gefunden wurde, die ein wenig Zucker leihen wollte. Ein Krankenwagen brachte sie in das größte Kölner Krankenhaus, die ›Lindenburg‹, wo der Arzt einen Nervenschock und eine lebensgefährliche Verkrampfung der Herzkranzarterien feststellte. Man injizierte Strophanthin und Traubenzucker, gab ihr künstliche Atmung und wartete auf das Wunder, daß der Körper sich von selbst aus der inneren Verkrampfung löse, die der übergroße seelische Schock ausgelöst hatte.
Frank Gerholdt, der aus Berlin zurückkam, in der Tasche die Zusage, einen Kredit von einer Million für die Entwicklung eines
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