Schicksal aus zweiter Hand
Mitleid.
»Frank –«, stotterte er. Er wollte aufspringen, aber die Faust Gerholdts warf ihn zurück. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Petermann Gerholdt an. Er sah, wie Frank die Finger spreizte.
»Du kennst Irene Hartung?« fragte Gerholdt leise.
»Frank! Es war ein Irrtum … Ich schwöre dir …«
Petermann sprang empor, aber Gerholdts Faust schlug wieder zu. Eine wahnsinnige Angst erfaßte ihn … er schlug mit beiden Armen um sich und riß den Mund auf wie ein um Luft ringender Fisch. »Hilfe!« wollte er schreien. »Hilfe!« Aber Gerholdt hinderte ihn daran … er schlug drei-, viermal auf den Mund, bis er blutete und Petermann stöhnend die Vorderzähne ausspuckte.
»Irene ist tot!« sagte Gerholdt mit unheimlicher Ruhe. »Du hast sie erschlagen!«
»Nein!« Petermann wollte sich aufrichten, ein Fußtritt in den Magen warf ihn zurück. »Sie lebte, als ich sie verließ. Sie lebte!« schrie er dumpf.
»Du hast sie geschlagen, daß sie einen Nervenschock und eine Herzlähmung bekam! Sie ist vor einer Woche gestorben. Ich kam zu dir, um dich zu bitten, mit mir den Mörder zu suchen. Den Mörder mit dem Ring, auf dessen Platte ein Hakenkreuz graviert ist.« Petermann hob die Hand. Der Ring blitzte im Licht der Lampen.
»Hör mich an, Frank …« stotterte er. Aber Gerholdt winkte ab. Er riß Petermann empor und schleifte ihn in die Mitte des Zimmers. Dort ergriff er ein Schüreisen, das neben dem Ofen lag. Petermanns Augen weiteten sich unnatürlich. Er fiel auf den Boden, wimmernd und die Hände hebend. »Frank«, schrie er. Er spuckte Blut aus dem zerschlagenen Mund und kroch winselnd zu Gerholdt hin. »Frank … du willst mich doch nicht umbringen …«
»Ich werde es müssen, Petermann«, sagte Gerholdt ruhig, so, als handle es sich um eine alltägliche Abmachung. »Ich habe kein Vertrauen zu den Gerichten, die heute Recht zu sprechen haben. Ich kenne eure Methoden, sich durch Zeugen zu decken. Ein ganzer SA-Sturm würde im Gerichtssaal antreten und aussagen, daß du zu der fraglichen Zeit bei ihnen im Stammlokal warst. Ich kenne heute nur eine Gerechtigkeit, die so alt ist wie die Menschheit selbst: das Recht der Rache!«
»Frank!« Petermann schlug die Hände vor die Augen. »Du kannst mich doch nicht erschlagen …«
»Ich werde es können. Wie einen tollen Hund … mit dem Feuerhaken …«
»Frank!« Petermann wollte sich aufrichten. Da traf ihn der erste Hieb. Er ging über die Schulter und schleuderte ihn auf den Boden zurück. »Hilfe!« schrie er grell. »Hilfe! Mörder!!« Er wollte sich emporschnellen, aber Gerholdts Schläge prasselten auf ihn nieder. Stöhnend sank er zusammen und rollte sich über den Boden.
»Gnade«, wimmerte er. »Gnade …«
Es waren Worte, die Gerholdt nicht mehr erreichten. Mit leeren Augen, mit ausgebranntem Herzen schlug er zu. Immer und immer wieder, mechanisch fast, wie das Stampfen einer Maschine. –
Nach einer Stunde verließ er die Wohnung Petermanns.
Er fuhr mit seinem Wagen nach Hause und legte sich angezogen auf sein Bett.
»Jetzt hast du einen Grund, mich zu verfluchen, du Gott da oben«, sagte er laut. »Jetzt zeige, daß du lebst! Ich bin zu allem bereit!« –
Am nächsten Morgen brachten die Zeitungen die Meldung vom Tode des Außenhandelsvertreters Petermann. Da nichts fehlte, kam ein Raubmord nicht in Frage. Es war ein Racheakt, so folgerten die Zeitungen. Der ›Westdeutsche Beobachter‹ der NSDAP schrieb:
»Petermann, ein alter SA-Mann, stand öfter unter den Drohungen ehemaliger Kommunisten, ihn heimtückisch umzubringen. Aus seiner Kampfzeit her hatte er viele Feinde, denn Petermann war ein guter Kämpfer für die Ideale des Volkes. Er war einer der ersten, der 1933 in die Kommunistenviertel von Köln eindrang und die Rädelsführer des Widerstandes gefangennahm.
Nun hat die Kommune Rache genommen! Wir aber rufen: Sein Blut wird euer Blut kosten! Wir werden die Kommunisten ausräuchern wie Ratten!«
Verwundert las Frank Gerholdt diese Version. Gegen Mittag brachte der Sender Köln die Meldung, daß zwei lang gesuchte Kommunisten aus der Thieboldsgasse den Mord vor der Geheimen Staatspolizei gestanden hätten. Sie sagten aus, daß sie Petermann erschlagen hätten, weil er ihre Freunde ins Zuchthaus gebracht habe.
»Die schnelle Auflösung dieses widerlichen Mordfalles ist eine Meisterleistung der Geheimen Staatspolizei«, sagte der Rundfunksprecher mit sonorer Stimme. »Der Erste Staatsanwalt wird sofort Anklage erheben. Die
Weitere Kostenlose Bücher